»Die ›Malmoe‹ war eine Art Knotenpunkt«

von Jannik Eder

Die linke Wiener Zeitschrift »Malmoe« wird nach 25 Jahren eingestellt. Redakteur Teo Klug spricht im Interview über die Gründe dafür und über die prekäre Lage kritischer Medien.


2117 wörter
~9 minuten

Wer sich im letzten Vierteljahrhundert als Teil der österreichischen Bewegungslinken verstand, kam an ihr nicht vorbei: der Malmoe. Die Zeitschrift mit der markanten buntgemusterten Tapete auf dem Cover wurde auf Demos verteilt, in Szenelokalen und Kulturstätten ausgelegt, in Hörsäle und Seminarräume gereicht und manchmal im Guerilla-Vertrieb in den Boxen zurückgelassen, die eigentlich die großen Gratis-Boulevardzeitungen beherbergen.

Mit Letzteren gab es freilich keine Gemeinsamkeit, außer dass man auch Malmoe kostenfrei lesen konnte. Offiziell, das wird manchen neu sein, kostete eine Ausgabe symbolische 50 Cent, doch als Leser wusste man ja nicht einmal, an wen man diese hätte entrichten sollen. Wer wollte, konnte Malmoe abonnieren und damit unterstützen. Damit ist schon ein zentrales Problem umrissen, das Malmoe immer begleitete: Das Geschäftsmodell war, sagen wir mal, nicht ganz ausgereift.

Im Jahr 2000 als Reaktion auf die schwarz-blaue Regierung unter Wolfgang Schüssel und als Versuch zur Stärkung der Gegenöffentlichkeit aus der Taufe gehoben, ist nun nach 110 Ausgaben Schluss. Malmoe-Redakteur Teo Klug erklärt, wie es zum Ende kam, was die Zeitung ausmachte und vor welchen Herausforderungen linke Medien in Zeiten von Social-Media-Dominanz und Rechtsruck stehen.

Jannik Eder | Die zentrale Frage gleich zu Beginn: Nach 25 Jahren ist Malmoe Geschichte. Warum hört ihr auf?

Teo Klug | Entscheidend waren sicherlich die Nachwirkungen von Covid. Während der Pandemie hatten wir plötzlich keinen Zugang mehr zu den Orten, an denen wir die Zeitung verteilten. Wir konnten die Zeitung also nicht mehr wie gewohnt unter die Leute bringen. Gleichzeitig war der Aufwand, das Projekt während der Pandemie am Leben zu erhalten, enorm, es gab viele zusätzliche Belastungen, und auch finanzielle Fragen wurden immer drängender. Wir haben uns von dieser schwierigen Phase nie wirklich erholt. Ein weiterer entscheidender Punkt war, dass es nicht gelungen ist, ausreichend neue Leute in die Redaktion zu holen, frische Energie und neue Perspektiven einzubinden.

JE | Gab es in der Redaktion unterschiedliche Meinungen darüber, ob ihr weitermachen oder aufhören solltet?

TK | Was wir alle gemeinsam hatten, war eine große Erschöpfung. Das hat letztlich die Entscheidung beeinflusst, das Projekt einzustellen. Einige von uns, mich eingeschlossen, hätten sich gewünscht, Malmoe an eine neue Generation weiterzugeben. Wir hatten auch ein paar neue Redaktionsmitglieder, aber es fehlte die nötige Energie für einen echten Übergang. Es fehlte der Moment, in dem diejenigen, die das Projekt über Jahre getragen haben, sich zurückziehen konnten und neue Leute nahtlos übernehmen.

JE | Woran lag es, dass zu wenig Neue zur Redaktion gestoßen sind?

TK | Ich glaube, ein wesentlicher Grund ist, dass wir, also die Menschen in der Redaktion, uns in den letzten Jahren von der Institution Universität entfernt haben und damit die Verbindung zu einem Ort abgebrochen ist, an dem wir neue Leute für das Projekt gewinnen konnten. Das Studium ist halt am ehesten so ein Lebensabschnitt, in dem man die Zeit und den Enthusiasmus für solche ehrenamtlichen Projekte aufbringen kann.

JE | Vielleicht gibt es auch einen Generationenwandel: Junge Leute, die etwas mit Medien machen wollen, gehen nicht mehr zu einer undergroundigen Printzeitung, sondern starten einen Tiktok-Kanal?

TK | Da ist sicher etwas dran. Die Medienproduktion verändert sich ständig, und junge Leute nutzen heute Smartphones und Social Media, um ihre eigene Plattform aufzubauen. Das ist für viele attraktiv, aber ich sehe da auch Fallgruben. Ein Medium wie Malmoe hat inhaltliche Tiefe, redaktionelle Diskussionen, Qualitätschecks. Das unterscheidet sich von der Art, wie man als Einzelperson schnell mal etwas Content produziert – und man merkt oft, dass so etwas fehlt.

JE | Die Malmoe-Gründung war eine Reaktion auf die erste schwarz-blaue Regierung im Jahr 2000. Und gerade jetzt, wo Blau-Schwarz unter Kickl droht, wird die Zeitung eingestellt. Das hat etwas von bitterer Ironie.

TK | Ja, das ist jetzt leider die Klammer. 2000 gab es in Österreich kaum eine alternative mediale Öffentlichkeit, da wollte Malmoe ansetzen. Gleichzeitig muss ich sagen: Malmoe hat sich nie auf Österreich fokussiert, sondern sich von Anfang an mit globalen Fragen beschäftigt. Damals war die Globalisierungskritik ein großes Thema, die Proteste gegen das Treffen der Welthandelsorganisation in Seattle 1999, die daran anknüpfenden Theorien, etwa die Idee der Multitude von Michael Hardt und Antonio Negri, also dass es ein neues politisches Subjekt des Widerstands gibt, das sich aus global verteilten, vielfältigen Individuen zusammensetzt. Malmoe hat nie etwas nur auf nationalstaatlicher Ebene verhandelt und letztlich auch eine antinationalistische Haltung eingenommen. In diesem Kontext war Schwarz-Blau in Österreich natürlich ein wichtiger Bezugspunkt – der bis heute Bedeutung hat: Wenn man sich die damaligen sozialen Bewegungen anschaut, dann war Malmoe eine Art Knotenpunkt, eine Vermittlungsplattform. Es ging um antirassistische, feministische und antifaschistische Kämpfe, um verschiedene progressive Bewegungen, die sich gegenseitig beeinflusst und verstärkt haben.

Ein Teil der letzten Malmoe-Ausgabe, der Doppelnummer 109/110, in den Händen von Redakteur Teo Klug.

JE | Inwieweit spiegelt das Ende von Malmoe auch den Zustand der linken Bewegung in Österreich wider?

TK | Gute Frage, aber schwer zu beantworten. Es würde zu weit gehen, Malmoe als Seismograf für den Zustand der gesamten linken Bewegung zu sehen. Dafür hatte man immer eine zu spezifische Perspektive, die nicht nur an klassische Politik im engeren Sinne gebunden war. Es spielte auch etwas eine Rolle, worüber wir bisher noch nicht gesprochen haben: Malmoe hat Kultur – insbesondere Popkultur, Jugendkultur, Subkultur – immer als politisches Feld verstanden. Das war ein integraler Bestandteil der Zeitung. Die Idee, dass kulturelle Ausdrucksformen Teil politischer Aushandlungsprozesse sind, war eine ihrer Kernperspektiven. Und ich würde sagen, dafür gibt es auch heute noch ein Publikum.

JE | Vielleicht sogar mehr denn je?

TK | Richtig, und damit sind wir wieder bei den Social Media. Politische Fragen zu beispielsweise populärer Kultur und damit verbundenen Identitäten werden heute eher dort als in klassischen Medien gestellt.

JE | Obwohl Malmoe thematisch sehr nah an Medienentwicklungen, digitalen Trends und Popkultur war, hatte man nie den Eindruck, dass man es darauf anlegte, im virtuellen Raum präsent zu sein. War das eine bewusste Entscheidung oder eher eine verpasste Entwicklung?

TK | Es gab Versuche, digital aktiver zu sein, aber zwei Gründe sprachen dagegen: Zum einen fehlten uns die Ressourcen für eine professionelle Online-Präsenz, zum anderen waren wir in Bezug auf Social Media insofern skeptisch, als wir die Kontrolle über unsere Inhalte behalten wollten und wir uns – nicht erst seit Elon Musks Twitter-Übernahme– kritisch zu Tech-Konzernen und ihrer Einflussnahme positionierten.

JE | War Malmoe eigentlich eher ein journalistisches oder ein aktivistisches Projekt?

TK | Ich würde sagen, dass Malmoe eine hybride Form zwischen Journalismus und Aktivismus gefunden hat. Malmoe war nie das Medium einer bestimmten politischen Strömung, einer Partei oder einer spezifischen sozialen Bewegung. Aber man hat sich wie gesagt immer als Vermittlungsplattform verstanden: Malmoe hat Initiativen und Polit-Organisationen eine Bühne geboten und dabei oft eine Wechselwirkung erzeugt: Wenn diese Gruppen einen Artikel oder ein Interview bekamen, hatte das oft einen Effekt auf sie selbst – sie wurden in die Situation versetzt, ihre Anliegen klar zu formulieren, sich selbst zu reflektieren und ihre Positionen so zu vermitteln.

JE | Bei der Gründung hieß es appellierend an die Leser:innen: »Ob unser Vorhaben gelingen kann, entscheidet der – nicht ganz freie – Markt. Ihr seid der Markt, zumindest ein Teil davon.« 25 Jahre zu bestehen ist zweifellos ein Erfolg. Dennoch muss man sagen: Wäre der Markt ausschlaggebend gewesen, hätte Malmoe in dieser Form wohl nicht so lange überlebt. Abo-Verkäufe waren nie das zentrale Geschäftsmodell, Werbung schon gar nicht. Warum hat Malmoe nie den Schritt in Richtung Professionalisierung gewagt – weg von einem Medium, das sich mit kleinen Förderungen über Wasser hält, hin zu einem, das sich selbst trägt?

TK | Diese Diskussion haben wir oft geführt. Letztlich war unsere Haltung dazu aber recht klar: Eine Professionalisierung hätte dem kollektiven Gedanken von Malmoe geschadet. Hätten wir zum Beispiel zwei oder drei halbe Stellen geschaffen, während der Rest weiterhin ehrenamtlich gearbeitet hätte, wäre ein Ungleichgewicht entstanden – sowohl in der Arbeitsdynamik als auch in der Frage, wer wie viel Verantwortung übernimmt. Wir haben diesen Schritt bewusst vermieden, weil Malmoe immer auf kollektivem, ehrenamtlichem Engagement basierte. Der Nachteil war natürlich, dass alle Beteiligten ihre Arbeit zusätzlich zu ihren eigentlichen Jobs erledigen mussten. Aber Malmoe ist nicht das einzige Medium mit diesen Herausforderungen. Viele alternative Medien teilen dieses Schicksal – sie leisten wichtige Arbeit, kämpfen aber permanent ums Überleben. Deshalb müsste man diese Diskussion viel breiter führen: Wie können wir Strukturen schaffen, die unabhängige Medien langfristig absichern, ohne dass sie von Marktmechanismen oder politischen Abhängigkeiten erdrückt werden?

Eine Übersicht von der ersten bis zur hundertsten Ausgabe der Malmoe.

JE | Was die inhaltliche Ausrichtung betrifft, war Malmoe irgendwie nie ganz greifbar. Du hast es schon angesprochen, in den ersten Jahren betrachtete man die Welt am ehesten durch die Brille von Hardt und Negri und dem Multitude-Konzept. Im Laufe der Zeit wurde Malmoe dann von verschiedenen Seiten mit den unterschiedlichsten Labels versehen, von postkolonial bis antideutsch, von Künstler-Zine bis KPÖ-Blatt.

TK | Tja, was soll man dazu sagen? Uns war es am Ende wichtig, dass Malmoe als Sprachrohr der autonomen, also nicht parteinahen österreichischen Linken wahrgenommen wird. Wenn wir die Zeitung an Leute verteilt haben, gab es natürlich auch immer direkte Rückmeldungen. Wo du gerade KPÖ-Blatt gesagt hast: Einmal hab ich die Malmoe in ein Lokal gebracht, da kam jemand zu mir und sagte, dass wir »dieses KPÖ-Ding« hier nicht verteilen sollen. Ich habe ihm dann gesagt, dass ich in der Redaktion bin und dass es keinerlei Verbindung zur KPÖ gibt. Aber die Person ließ sich nicht von ihrer Meinung abbringen. Es zeigt sich immer wieder, dass Menschen mit bestimmten Vorstellungen oder Zuschreibungen an uns herantreten – und das ist irgendwie spannend, besonders wenn so etwas von Linken formuliert wird, die ein gewisses Unverständnis für den Charakter von Medien haben. Wenn du einen Artikel im Standard oder im Falter liest, der eine bestimmte Position einnimmt, findest du ein paar Seiten weiter eine Perspektive, die dazu konträr ist. Oder es schreiben in einem Medium verschiedene Leute, die miteinander bestimmt auf einen grünen Zweig kommen. Was bei großen Medien selbstverständlich ist, durfte aus der Sicht von so manchem für Malmoe nicht gelten. Aus einer fragwürdigen Erwartungshaltung heraus wird dann die Zeitung als Ganzes abgelehnt.

JE | Ihr habt ja schon verkündet, dass Malmoe in irgendeiner Form weiter bestehen soll. Gibt es da schon etwas Konkretes zu sagen?

TK | Das ist alles noch recht vage. Ich persönlich finde die Idee einer Poster-Zeitschrift reizvoll, damit haben wir zwischendurch auch schon experimentiert. Eine Poster-Zeitschrift behandelt nur ein bestimmtes Thema, und auf einer Seite gibt es kürzere und längere Texte, auf der anderen eine Grafik, eine Illustration, eine Zeichnung oder Ähnliches. Vom Format her ist das etwas, was man ausklappen und aufhängen kann. Ich persönlich bin politisch mittlerweile mehr kleinräumig unterwegs, auf Grätzl-Ebene, mit der Absicht, wieder mehr Verbindungen im Nahbereich aufzubauen. Ich könnte mir vorstellen, dass so eine Poster-Zeitschrift in diesem Zusammenhang gut funktioniert, gerade wenn man sich auf ein lokalspezifisches Thema fokussiert. Das Ganze reizt mich auch, weil es eben etwas anderes ist als Social Media, wo Menschen den Bezug dazu verlieren, was draußen vor ihrer Tür passiert. Es wäre der Anspruch zu sagen: Wir schauen uns an, was in der direkten Umgebung passiert, und versuchen, das in einem nicht algorithmusgetriebenen Medium abzubilden.

JE | Zum Schluss muss die obligatorische Frage geklärt werden: Wie kam die Malmoe zu ihrem Namen?

TK | Das kann ich jetzt nur anteasern, das Geheimnis lüften wir am 8. Februar bei unserer Abschiedsparty! Die Wahrheit steht nämlich in einem 25 Jahre alten Sitzungsprotokoll, das mir erst kürzlich in die Hände gefallen ist. Nur so viel: Der Schriftzug sieht einfach vom Layout her gut aus. Manche munkeln auch, man habe sich an der Stadt in Schweden orientiert, die lange Zeit als die friedlichste Stadt der Welt galt, eingebettet in einen fortschrittlichen Wohlfahrtsstaat, alle irgendwie happy. Falls an dieser Erzählung etwas dran sein sollte, hat sie eine zynische Wendung genommen. Schließlich ist Malmö heute in Verruf geraten wegen Kriminalität und sozialer Probleme, in rechten Kreisen steht die Stadt für das Scheitern eines liberalen, multikulturellen Weges. Aber das führt jetzt zu weit – wer es genauer wissen will, die ganze Wahrheit gibt es am 8. Februar in Wien-Ottakring.

Wer bei der Malmoe-Abschiedsparty dabei sein möchte, kann sich noch per E-Mail an redaktion(at)malmoe.org anmelden.

Das Gespräch mit Teo Klug führte TAGEBUCH-Textchef Jannik Eder, der zwischen 2013 und 2018 selbst Teil der Malmoe-Redaktion war.

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