Spätestens mit dem Eintritt in die Wiener Stadtregierung ist klar, dass sich die Neos als fixer Bestandteil der österreichischen Parteienlandschaft etabliert haben. Prognosen, welche ihnen ein ähnlich kurzlebiges Schicksal wie dem Liberalen Forum vorausgesagt hatten, erwiesen sich als falsch. Denn im Gegensatz zum Liberalen Forum sind die Neos personell wesentlich breiter und solider aufgestellt und professioneller in ihren Strukturen. Vor allem aber sind sie authentische Vertreterinnen eines gesellschaftlichen Spektrums, das aktuell von keiner anderen Partei abgebildet wird.
Die offizielle Gründung der Neos im Jahr 2012 war lediglich Abschluss einer Entwicklung, die sich schon seit geraumer Zeit abgezeichnet hatte. Ihre Führungsfiguren waren enttäuschte Funktionäre der ÖVP, frustriert vom korporatistischen und bürokratischen Charakter der älteren Partei. Ein Großteil hatte sich politisch in der Studierendenorganisation der Volkspartei sozialisiert, in diversen schwarzen Kabinetten erste Erfahrungen in der großen Politik gesammelt oder war als politischer Dienstleister für die ÖVP tätig. Bereits in der Entstehungsphase versuchte die Volkspartei auf mehreren Ebenen das Projekt Neos zu sabotieren. Sei es mit der Drohung, berufliche Existenzen zu vernichten, gezieltem Druck auf einzelne Proponentinnen, aber auch mit verlockenden Karriereangeboten für potenzielle Überläufer. So sind zentrale Vertreter des aktuellen türkisen Führungskreises 2012 schon mit einem Fuß bei den Neos gewesen. Die daraus resultierenden Verwerfungen, Brüche und Enttäuschungen, gerade auf persönlicher Ebene, waren und sind noch immer prägend für das Verhältnis zwischen ÖVP und Neos.
Dennoch scheint es auf den ersten Blick falsch, die Neos lediglich als Ausdruck eines karrieristischen Positionierungsstreits innerhalb des österreichischen bürgerlichen Lagers zu begreifen. Die Neos sind die heimischen Repräsentantinnen einer internationalen Strömung, die in kulturellen Tendenzen der 1990er Jahre gründen. Mit dem Zusammenbruch des Realsozialismus begann damals die goldene Ära des zeitgenössischen politischen Liberalismus. Seine zentralen Thesen – freie und transnationale Märkte, Entbürokratisierung, sprich: Reduktion des Sozialstaates, liberale Demokratie und kultureller Kosmopolitismus – hatten sich scheinbar als historisch legitimierte und damit unumstößliche Wahrheiten, als das »objektive und alternativlose Richtige« entpuppt. Das Ende der Ideologien wurde verkündet. Die Zukunft gehörte »vernünftiger« Politik und »einem optimistischen Blick auf das Kommende«, einer weltoffenen, mithin europäischen Orientierung, verbunden mit der Gewissheit, zu den Gewinnern der Geschichte zu zählen. In der politischen Auseinandersetzung ging es weitgehend nur noch um Fragen der kulturellen Ausschmückung und der Spezifikation von Details. Die Hochphase des »vernünftigen« Zentrismus der Clintons, Blairs und Schröders hatte begonnen. Einer Politik, die sich befreit von ideologischen Zwängen auf das pragmatisch Naheliegende fokussierte. Die großen Fragen waren geklärt, die Schienen in Richtung Fortschritt und Verbesserung waren gelegt, kulturelle Aufbruchsstimmung das Gebot der Stunde.
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