Gelungene Bewältigungsversuche

von Jana Volkmann

480 wörter
~2 minuten
Gelungene Bewältigungsversuche
Patrick Eiden-Offe
Hegels »Logik« lesen
Ein Selbstversuch
Matthes & Seitz, 2020, 250 Seiten
EUR 25,70 (AT), EUR 25,00 (DE), CHF 32,50 (CH)

Der Untertitel Ein Selbstversuch klingt nach experimenteller Wissenschaft, die zu höchst subjektiven Ergebnissen führt. Solche Punzierungen werden dem gewichtigen Inhalt und auch dem hohen Anspruch, den das Buch an Stil und Form stellt, jedoch nicht ganz gerecht: Eiden-Offe geht über das im Klappentext angekündigte »Exerzitium« – jeden Tag eine Stunde lang Hegels Wissenschaft der Logik zu lesen und diese Leseerfahrung zur Grundlage einer eigenen wissenschaftlich-essayistischen Arbeit zu machen – hinaus. Auf eine so unorthodoxe wie akribische Weise nähert er sich Humor und Mystik, Politik und Natur in Hegels zwischen 1812 und 1816 verfasstem Werk.

Schon aus den Sperrungen, typografischen Hervorhebungen und der eigentümlichen Interpunktion, die Hegel verwendet, zieht Patrick Eiden-Offe Rückschlüsse auf den Kern und die inhaltlich-konzeptionelle Struktur der Logik, und von dort wiederum auf das gesamte Hegel’sche System. Dabei nimmt Eiden-Offe auf ein beachtliches Spektrum an Forschungsliteratur Bezug; wie auf The Dash – The Other Side of Absolute Knowing von Rebecca Comay und Frank Ruda, das, vereinfacht gesagt, mithilfe ausgewählter Gedankenstriche in Hegels Schriften Erkenntnisse über das Hegel’sche Denken in seiner Gesamtheit ableitet, etwa, dass die dialektische Denk-Bewegung eben nicht einen schlichten teleologischen Fortschritt ohne (Unter-)Brechungen bedeutet.

Eiden-Offe, der selbst seine Gedanken oft und souverän mit Parenthesen anreichert, zeigt einen ähnlich wachen Sinn für Syntax und Interpunktion. Er bringt überzeugende Argumente, sich mit der gleichen Sorgfalt mit der Logik auseinanderzusetzen wie deren Autor selbst. So heißt es im Vorwort: »Wenn wir versuchen, Hegels Philosophie und auch Hegels philosophische Prosa: seine ganz eigentümliche Sprache und Sprechweise als Ausdruck und als Bewältigungsversuch einer Krise zu entziffern, dann gelingt es uns vielleicht, diese Philosophie […] auch als ein aktuelles Angebot zur Bewältigung unserer Krisen […] ernstzunehmen.« In diesem »wir« steckt nicht weniger als das Angebot, aus dem Selbst- einen Kollektivversuch zu machen. 

Dass er vermehrt von Hegel’scher Prosa oder auch »Denk-Prosa« schreibt, verweist auf Eiden-Offes methodischen Ansatz: »Die Komödie der Begriffe«, schreibt er beispielsweise, »ist auch eine Komödie der Sprache.« Er forscht derzeit am Berliner Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung zu Georg Lukács; einen Namen hat er sich außerdem mit seinem viel gelobten Band Die Poesie der Klasse. Romantischer Antikapitalismus und die Erfindung des Proletariats gemacht. Der Logik widmet er sich nun mit einem an Brecht und Beckett, Grünbein und Enzensberger, ganz besonders aber an Hölderlin geschulten Blick. So ist dem Buch nicht zuletzt die Aufhebung von Grenzen, hier: der zwischen Prosa und Philosophie, zu verdanken – vorausgesetzt man traut sich nach der Lektüre, derart leichtfertig mit Begriffen wie Aufhebung und Grenze zu verfahren. Mit Bemerkungen zu Trost und trust, im Sinne des in die Zukunft gerichteten, durch das Werden bestimmten Denkens, schließt Eiden-Offe seinen Band und überlässt seinen Lesern und Leserinnen das Anknüpfen an die zahlreich gestreuten Gedankenstriche.

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