Operaismus, historisch

von Mario Memoli

431 wörter
~2 minuten
Operaismus, historisch
Dominik Götz
Operaismus
Geschichte & Philosophie des autonomen Marxismus in Italien
Mandelbaum, 2020, 240 Seiten
EUR 18,00 (AT), EUR 18,00 (DE), CHF 25,90 (CH)

»Compagno, sembra ieri« – Genosse, es scheint wie gestern. Es schwingt Wehmut mit, wenn der Musiker Pino Masi in seinen Liedern an die Sechziger- und Siebzigerjahre in Italien erinnert. In der Tat: Der Rückblick auf jene zwei roten Jahrzehnte – geprägt von Arbeitskämpfen, neuen Akteurinnen, neuen Widerstandsformen – hat bis heute Strahlkraft. Dazu gehören auch Ideen und Praxis des italienischen Operaismus.

Operaismus sollte weniger als Epoche denn ideengeschichtlich als Variante marxistischer Theorie verstanden werden. Der Angelpunkt ist dabei die sogenannte Arbeiterzentralität: die Fokussierung auf das Subjekt des Proletariers, speziell in der Figur des Massenarbeiters (operaio massa). In großer Zahl migrierten Süditaliener und Süditalienerinnen ab 1958 in den industriellen Norden und wurden dort ein relevanter Teil der Arbeiterschaft. Sie standen im Zentrum der sogenannten conricerca (militante/aktivistische Untersuchung), die von revolutionären Linken Anfang der Sechzigerjahre in den Fabriken durchgeführt wurden. Dabei wurde der Produktionsprozess in der Fabrik von innen und aus der Sicht der Arbeiter akribisch beforscht und speziell auf die Einbindung neuer Technologien und Maschinen sowie auf die Formen von Widerstand untersucht. Der Rolle der Arbeitenden wurde nicht nur subjektive Wichtigkeit zugeschrieben, vielmehr wurde ihr Handeln – der Widerstand gegen das Kapital – als die entscheidende Kraft der gesellschaftlichen Entwicklung schlechthin bestimmt. Ausgehend von diesen (und vielen weiteren) theoretischen Grundlagen entwickelten sich im Laufe der 1960er und 1970er in Italien zahlreiche auf den Operaismus aufbauende Strömungen, die das politische Geschehen von seinem Beginn über das biennio rosso (1968 und der Heiße Herbst 1969), die autonomia, den italienischen Feminismus und die anni di piombo (bleierne Jahre des bewaffneten Kampfes) bis hin zum Abflauen der italienischen Arbeiterbewegung prägen sollten.

Das Buch von Dominik Götz gibt einen wertvollen Einblick und wird seinem Untertitel durchaus gerecht: Sowohl die historischen Abläufe als auch die philosophischen Weiterentwicklungen werden gleichermaßen beleuchtet. Die Anordnung der Kapitel mischt diese beiden Schwerpunkte, was die Lektüre kurzweilig macht. Wer die italienische Wirtschafts- und Politikgeschichte jener Jahre nicht im Hinterkopf hat, erfreut sich an der kontinuierlichen Einbettung des Erzählten in den historischen Kontext. Abschließend widmet sich Götz noch der Zeit nach dem klassischen Operaismus und stellt etwa dessen feministische Fortführung in den 1970ern oder den Gedankensprung zum Post-Operaismus vor.

Obgleich der Operaismus, wie auch der Autor eingangs anmerkt, ein Kind seiner Zeit war und Versuche einer einfachen Revitalisierung anachronistisch erscheinen müssen, hält die Beschäftigung mit jenen bewegten Jahren konstruktive und inspirierende Ideen für künftige Arbeitskämpfe bereit. Das Buch von Dominik Götz liefert hierfür einen wertvollen Beitrag.

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