Vive la Commune!

von Wolfgang Häusler

Vor 150 Jahren, am 18. März 1871, entstand die Pariser Kommune.


3232 wörter
~13 minuten

Trikolore und rote Fahne als Zeichen der Passion der alten und der neuen Revolution, Ende und Anfang: Der Schlusssatz des 1886 posthum erschienenen dritten Bandes von Jules Vallès’ autobiografischem Roman Jacques-Vingtras, L’Insurgé (Der Aufrührer), ist »gewidmet jenen Toten von 1871, den Opfern der sozialen Ungerechtigkeit, die unter der Fahne der Kommune zu den Waffen griffen«. Dem revolutionären Journalisten Vallès, der auf den Barrikaden gekämpft hatte, gelang die Flucht; er wurde in Abwesenheit zum Tod verurteilt.

Zeitgleich mit der Auslöschung im Mai 1871 schrieb Karl Marx: »Das Paris der Arbeiter, mit seiner Kommune, wird ewig gefeiert werden, als der ruhmvolle Vorbote einer neuen Gesellschaft. Seine Märtyrer sind eingeschreint in dem großen Herzen der Arbeiterklasse.« Der Bürgerkrieg in Frankreich – Analyse, Appell, Apotheose – wurde als Adresse des Generalrats der Internationalen Arbeiter-Assoziation am 30. Mai 1871 beschlossen. Zwei Tage zuvor war der letzte Widerstand zusammengebrochen. Die sakrale Symbolik dieser »glorreichen Tat unserer Partei« überhöhte Marx noch vor der Niederlage im Schreiben an den Freund Dr. Ludwig Kugelmann: »Man vergleiche mit diesen Himmelsstürmern von Paris die Himmelssklaven des deutsch-preußischen heiligen römischen Reiches […].« 

Der Kampf der Kommune ist eine Zäsur der Revolutionsgeschichte. Der Zyklus der bürgerlichen Revolutionen – 1789ff., 1830, 1848 –, der mit der kapitalistischen Industrialisierung einherging, nahm 1871 eine dramatische Wende. Der Deutsch-Französische Krieg, der das Ende des Second Empire Napoleons III. und Bismarcks Reichsgründung mit »Eisen und Blut« brachte, kippte in Bürgerkrieg als Klassenkampf: Singularität und Paradoxie der sozialen Revolution. 

Die Industrielle Revolution kam zwischen 1848 und 1870 in Frankreich rasch voran – verdreifachte Steinkohlenförderung und Eisenerzeugung, fünffache Dampfmaschinenkapazität und sechsfache Streckenlänge der Eisenbahn, kapitalistische Grundlage für gewagte Expansionspolitik in Europa und Übersee (Krimkrieg, Italien, Algerien, Indochina, Prestigeprojekt Suezkanal, Mexiko). Die Einwohnerzahl von Paris verdoppelte sich von einer auf zwei Millionen; 20 Arrondissements füllten den Raum der Metropole. Haussmanns Boulevards schufen moderne Stadtstrukturen, alte Viertel, immer wieder Herd sozialen Protests, verschwanden. Das Gefälle zwischen dem mondänen, eleganten Westen der Bourgeoisie mit dem Talmiglanz des Empire und den Handwerker- und Arbeitervorstädten des Ostens verstärkte sich. Großbetriebe wie die Silberschmiedefirma Christofle beschäftigten 1.400 Arbeiter. Der Ungar Leo Frankel, im Kommunerat für Handel und Arbeit zuständig, war Goldarbeiter, er organisierte nachmals die ungarländische Sozialdemokratie und beeinflusste Victor Adler. Die Bauarbeiter zählten gegen 100.000 Beschäftigte. Die Eisenwerke von Le Creuzot erlebten Aufschwung und Streikwelle. Die Internationale Arbeiter-Assoziation, gegründet am 28. September 1864 in London, ging von Facharbeitern aus, die im Zuge der Weltausstellungen in Europa herumkamen und sich mit demokratischen und sozialistischen Ideen bekanntmachten. Am Vorabend des Kriegs richteten die Pariser Mitglieder der Internationale an die »Brüder in Deutschland« »einen Ruf des Abscheus gegen den Krieg« (Manifest an die Arbeiter aller Nationen). Deutsche Arbeiterversammlungen antworteten im gleichen Sinn, zum Beispiel in Chemnitz: »Eingedenk der Losung der Internationalen Arbeiterassoziation ›Proletarier aller Länder, vereinigt euch!‹ werden wir nie vergessen, daß die Arbeiter aller Länder unsere Freunde und die Despoten aller Länder unsere Feinde sind.« Stimmen, die vom Kriegsgebrüll »Nach Berlin!« beziehungsweise »Nach Paris!« übertönt wurden.

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