Paula Markert: Den NSU-Komplex erinnern
von Margit Neuhold
»Bilder der Auseinandersetzung« 5/2021. In Zusammenarbeit mit »Camera Austria International«.
Zehn Jahre nach der Selbstenttarnung des rechtsterroristischen Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) begeht die thüringische Stadt Eisenach 2021 ein Jahresprojekt mit dem Titel Der NSU. Das Trauma eines Landes. In Eisenach fand die beinahe 14 Jahre im Untergrund lebende Terrorgruppe ihr Ende. Die Bilanz ist erschreckend: In der Zeit von 2000 bis 2007 ermordete der NSU neun Menschen mit Migrationshintergrund und eine Polizistin. Außerdem verübte er 43 Mordversuche, 3 Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle. Rund eineinhalb Jahre nachdem sich das Trio selbstenttarnt und Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sich das Leben genommen hatten, begann der NSU-Prozess mit der Hauptangeklagten Beate Zschäpe vor dem Oberlandesgericht München; nach über fünf Jahren und über 400 Verhandlungstagen mit mehr als 600 gehörten Menschen im Zeugenstand wurde im Juli 2018 das Urteil verlesen. Zschäpe erhielt eine lebenslange Freiheitsstrafe, vier mitangeklagte NSU-Helfer Haftstrafen. Doch viele Fragen zum Unterstützungsnetzwerk und zu strukturellem Rassismus unter anderem im Bundesamt für Verfassungsschutz blieben ungeklärt.
Am Eisenacher Bahnhof zeigt Paula Markert derzeit Ausschnitte ihrer Recherche Eine Reise durch Deutschland. Die Mordserie des NSU, an der sie zwischen 2014 und 2017 arbeitete. Sie hat mit zahlreichen Menschen gesprochen und migrantisch situiertes Wissen sichtbar gemacht. Die sachlichen Aufnahmen der im kollektiven Gedächtnis verankerten Orte kommen ohne Dramatisierung aus. Es sind Porträts sowie Bilder alltäglicher Landschaften, Straßenzüge, denen das Geschehene eingeschrieben ist, etwa die Plattenbau-Trabantenstadt Neulobeda, Wohnort der Familie Uwe Böhnhardts (Bild links); eine Aufnahme zeigt den Schwurgerichtssaal 101 des Oberlandesgerichts München, in dem vom 6. Mai 2013 bis zum 11. Juli 2018 der NSU-Prozess verhandelt wurde (Bild rechts). Um die Komplexität zu skizzieren, verschränkt Paula Markert in ihrer gleichnamigen Publikation diese Aufnahmen mit Textfragmenten aus Zeitungsberichten und Gerichtsprotokollen, Auszügen aus dem Thüringer Verfassungsschutzgesetz und mit Erfahrungsberichten der Porträtierten. Paula Markert führt in dieser Zusammenstellung die Dringlichkeit vor, kontinuierlich gegen Rassismen zu arbeiten: Geschichte wird in der Gegenwart geschrieben.
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