Nach dem Ende der »peruanischen Revolution«

von David Mayer

Österreichisches Tagebuch, Nr. 9, September 1977


536 wörter
~3 minuten

Der Wahlsieg Pedro Castillos in Peru hat einem Land Aufmerksamkeit gebracht, das vom Linksruck in Lateinamerika während der 2000er Jahre unberührt geblieben war. Schon lange haftet Peru, zumindest in den Augen vieler linker Außenbeobachterinnen, der Ruf eines Sonderfalls an. Es verwundert daher nicht, dass eines der radikalsten politischen Projekte in den 1970er Jahren in Lateinamerika – die »peruanische Revolution« unter Juan Velasco Alvarado von 1968 bis 1975 – in Europa kaum im Gedächtnis geblieben ist. Der linksgerichtete General kam im Oktober 1968 durch einen Militärputsch an die Macht, bildete eine »revolutionäre Regierung der Streitkräfte« und setzte in kurzer Zeit umfassende Reformen um: Verstaatlichungen, Bildungsreform, vor allem aber eine Agrarreform, die im ländlichen Peru in manchen Regionen noch heute als Moment der Befreiung gilt. Alvarado konnte zwar auf Unterstützung von unten zählen, zugleich war seine Politik eine repressive, eine »Revolution von oben«. Dazu gehörte auch eine Medienpolitik, wie man sie heute kaum noch erwägen würde. Zwei Jahre, nachdem Velasco durch einen weiteren Militärputsch gestürzt worden war, berichtete ein nicht genannter Autor im Wiener Tagebuch (Beiträge ohne Autorenangaben waren häufig zu finden), wie das Land wieder nach rechts rückte. Es findet sich darin auch die trügerische Hoffnung, dass die »Revolution« dadurch nur unterbrochen, nicht gebrochen sei. 

Peru: Eine unterbrochene Revolution

»Am 29. August 1976 meldete die ›Washington Post‹, daß einige große nordamerikanische Banken […] der peruanischen Regierung einen Kredit von 240 Millionen Dollar eingeräumt hätten. Der Kredit, schrieb das Blatt, sei gewährt worden, ›in Anbetracht des Rechtsrucks, der sich im peruanischen Militärregime [seit dem Machtwechsel im August 1975, Anm.] vollzogen hat‹.

[…]

Die peruanische Revolution, die der amerikanische [englische, Anm.] Historiker Hobsbawm seinerzeit als eine ›besondere‹ bezeichnet hat, ist heute eine verstümmelte, unterbrochene Revolution; wahrscheinlich infolge ihrer Besonderheit, ihrer Suche nach einem ›dritten Weg‹, ihrer Unfähigkeit, das Problem des Aufbaus der Volksmacht in der Praxis zu lösen. Aber Velasco war trotz der autoritären Tendenz, die er in den letzten Monaten seiner Regierungszeit an den Tag legte, zweifellos der Initiator eines Experiments, das durch die Errichtung eines echten Nationalstaates und Ansätze zur Befreiung der seit Jahrhunderten unterdrückten Massen, insbesondere der Bauernmassen, gekennzeichnet war. [Der neue Militärmachthaber, Anm.] Morales Bermudez hingegen trachtet diese Tendenz umzukehren.

[…]

Alle erwähnten Transformationen kulminierten am 27. Juli 1974: An diesem Tag wurden alle großen Zeitungen nationalisiert, um den Organisationen der Bevölkerung übergeben zu werden: ›La Prensa‹ ging von der Agrarbourgeoisie in die Hände der Arbeiter in Industrie, Bergbau, Fischerei und Verkehr über, ›Expreso‹ und ›Extra‹ von der Finanzbourgeoisie an die Lehrerverbände und ›El Comercio‹, das älteste und angesehenste Blatt des Landes, an die Bauernorganisationen.

[…]

Wenngleich auf kurze Sicht keine Möglichkeit besteht, innerhalb des Militärapparats den 1968 begonnenen Prozeß wieder in Gang zu setzen, so scheinen auf mittlere Sicht die Voraussetzungen für ein Wiederaufleben der Revolution in Peru gegeben zu sein: Das Bewußtsein und die Organisiertheit, die in dieser Zeitspanne herangereift sind, wie auch die Erfahrung der Militärs selber in den Jahren der peruanischen Revolution stellen eine Verbindung von Kräften dar, die, wenn sie nur standzuhalten vermögen, in wenigen Jahren wieder an die Macht kommen könnten.«

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