Astrid will arbeiten

von Lisa Kreutzer

Illustration: Lea Berndorfer

Über eine Sexarbeiterin, die sich auf pflegebedürftige Menschen spezialisiert hat, und davon, wie Tabu, Stigma und restriktive Gesetze ihre Arbeit erschweren.


2660 wörter
~11 minuten

Ein schwüler Sommertag im Juli. Obwohl es in der Nacht zuvor geregnet hat, steht die heiße Luft in der Zwei-Zimmer-Neubauwohnung in Wien. Vor dem Termin mit dem Kunden müsse sie nochmal duschen, sagt Astrid. Sie trägt ein knielanges Kleid in strahlendem Blau. Barfuß steht sie auf dem Wohnzimmerteppich. Auf der grauen Wohnlandschaft neben ihr liegen Kondome, ein Leintuch, ihr Vibrator, Kaugummis, Reinigungstücher, Plastikhandschuhe. Ceterizintabletten gegen die Allergie, Cyklokapron gegen starke Regelblutungen. Ein Rechnungsblock, eine grüne Karte, die ihre Gesundheit bezeugt, und eine blaue, die ihre polizeiliche Registrierung dokumentiert. Ein Covid-Test und ihr Impfzertifikat. Sie packt alles in einen schwarzen Lederbeutel, in ihre »Hurentasche«.

Auf den Bildern an den Wänden hinter ihr lacht Astrid mit Freundinnen und Familie. Sie zeigen die alte Astrid, die Bilanzbuchhalterin aus Wien, die ausgeglichene Zahlen liebte und den inneren Frieden, den die schwarze Null unter dem Strich in ihr auslöste. Die ihren Job sehr gut machte, die es mochte, ihren Kunden das österreichische Steuersystem zu erklären, die freiwillig Weiterbildungen besuchte, 17 Jahre lang. Die dann drei Jahre unter dem immer gleichen Alltag litt. Jene Frau, Ende 30, die kurz vor einem Burn-out stand, das sich langsam angeschlichen hatte und irgendwann so nah und bedrohlich war, dass sie nicht mehr weitermachen konnte. 

Andere Bilder zeigen die Frau, die ihren Job kündigte. Die sich überlegte, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte. »Irgendwas Soziales, irgendwas mit Sex.« Zwei Jahre ist das nun her, da war sie 41 Jahre alt. Astrid machte eine Ausbildung zur Sexualbegleiterin. Seither ist sie ihre eigene Chefin. Als Neue Selbstständige bietet sie ihre sexuellen Dienstleistungen für alle Menschen an, die ihre Sexualität nicht oder nicht mehr so leben können, wie sie wollen. Sie hilft ihnen beim Masturbieren, massiert und kuschelt, spricht oder schläft mit ihnen. Kundinnen und Kunden, die keine sexuellen Erfahrungen haben, können mit ihr auch mal »am Subjekt« üben. Ganz ohne Druck. 

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