Männersphären

von Raphaela Edelbauer

Illustration: Lea Berndorfer

Reaktionäres Gesellschaftsbild, aber moderne Entfaltung in Memes und sozialen Medien – eine Reise durch die »Manosphere« in neun Begriffen.


3336 wörter
~14 minuten

»Incels« sind Männer, die ihre Sexualität als defizitär beschreiben und die Schuld daran in der Liberalität unserer Gesellschaft sehen. Sie sind vornehmlich bekannt durch terroristische Aktionen wie jene von Alek Minassian oder Elliott Rodger. In ihren »Manifesten« beschrieben beide sich selbst als Angehörige dieser Subkultur. Der General Social Survey der Universität Chicago bestätigte im Jahr 2018: Junge Männer in den USA haben tatsächlich immer weniger Sexualkontakte. Doch einen zwingenden Zusammenhang zwischen der sogenannten Manosphere und empirisch beobachtbarem Sexualverhalten gibt es nicht. Die Manosphere ist ein loses Netzwerk aus Antifeministen, das in den 2010er Jahren zur Blüte gelangte und bis heute wächst. Je tiefer man in die verschiedenen Subkulturen eintaucht, desto klarer wird, dass sich das Phänomen aus einem verworrenen Fundus von Ideen speist: Es ist ein Gemisch aus Diskursen von in den 1970ern entstandenen Männerrechtsbewegungen, reaktionär-braunen Gruppen und sogenannten Pick-up-Artists. Sie alle eint ihre eigentümliche Verwendung von Termini, die vor allem im Reddit-Forum »The Red Pill« entstanden und zunächst von Pick-up-Artists formuliert wurden. Jenen Männern, die versuchen ein System zu entwickeln, um Frauen zum Sex zu überreden. Dabei geht es weniger um Techniken der »Verführung« oder ein zeitgenössisches Don-Juan-Syndrom, sondern um eine eigene Form der Realitätsbetrachtung – von den Eingeweihten »The Game« genannt. 

Was an der Manosphere noch unheimlicher ist als an der Männerrechtsbewegung, ist die paranoide, mystische Parallelrealität, die sie konstruiert. Eine Reise durch »The Game« in neun Begriffen offenbart, wie heterogen und doch geeint in ihrer Misogynie die »Manospherians« sich geben. 

1. Absolute Beginners

Am Samstag, den 1. Dezember 2018, wendet sich User »Patti« im deutschen Forum »Absolute Beginners« an seine Leidensgenossen im Internet. »Ich habe auf einer Single Seite mein Problem geschildert und Frauen um deren Meinung gefragt. Eine meinte, wir haben soziale Defizite und sind dort im Gegensatz zu den Normalos weit hintendran, sie würde sich auf so einen nicht einlassen. Wohingegen ich aber sagen muss, dass viele andere Frauen es zwar hinterfragen würden (warum ich noch keine richtig lange Beziehung hatte) aber sich die Gründe durch den Kopf gehen lassen.« (Originalrechtschreibung wurde beibehalten.)

Ihm antworten Männer, die selbst auch keine oder wenige Erfahrungen mit Sexualität haben, sich eine Freundin wünschen, das Gefühl verspüren, keine Chancen bei Frauen zu haben. Die Mitglieder des Forums unterstützen sich gegenseitig. Fast alle sind Männer zwischen 20 und 35 und der selbst als defizitär wahrgenommene Zugang zur Intimität macht sie zu involuntary celibates – kurz: Incels, also unfreiwillig zölibatär Lebenden. Ein anderer User namens »Einsamkeit is doof« schreibt sich am Nachmittag des 28. Novembers 2018 den Frust von der Seele: »Wenn ich eine schöne Frau sehe, dann tut mir der Anblick schon fast weh. Einerseits freue ich mich, wenn ich schöne Frauen sehe und andererseits tut mir der Anblick weh, weil ich es einfach nicht packe meinen Ar… hoch zu bekommen und endlich mal richtig aktiv zu werden und eine Frau anzusprechen.«

»Absolute Beginners« ist eine der größten Communitys der Manosphere. Viele Männer äußern hier ihre Ängste und Sorgen, finden Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Spannend ist, nach jenem Punkt zu suchen, an dem die Selbsthilfe in das radikale Gedankengut der Manosphere übergleitet: Sich als Incel wahrzunehmen und sich darüber auszutauschen, bedeutet für viele, zunächst nach individuellen Strategien zu suchen, um besser bei Frauen anzukommen. Doch die Diskussion im Forum springt schnell vom Individuellen zum Allgemeinen. So werden Typologien von Männern entwickelt, die beim Finden einer Partnerin im Gegensatz zu einem selbst keine Probleme haben. Noch problematischer ist die Frage nach den Gründen für die als Entbehrung wahrgenommene eigene Situation. Die Ursachen können, so der Schluss der Incels, entweder sozialer oder biologischer Natur sein. In beiden Fällen wäre man zumindest nicht selbst schuld – und wenn man über etwas keine Kontrolle hat, wird es schwieriger, keine Wut auf die Umstände zu entwickeln, die einen lenken.

»Absolute Beginners« gleicht anderen Incel-Seiten weder in Aggression noch der Verwendung von Biologismen; es finden sich kaum misogyne Tendenzen. Es liegt am äußersten Ende eines Spektrums, dessen geteilte Fragestellung ist, warum sexuelles Kapital so ungleich verteilt scheint wie das finanzielle. Die Top-Shareholders sind dabei – das ist der erste Glaubenssatz der Manosphere – jedoch die gleichen: die »Alpha Males«. 

2. Alpha Male 

Die Glaubensgrundlagen der Manosphere sind biologistisch: Wir haben uns über Jahrmillionen in Jäger-und-Sammler-Gesellschaften entwickelt, und was uns, unter dem Verputz der Zivilisation, antreibt, ist eine physische Hierarchie aus Anführern und Herdentieren, die im Rahmen des Fortpflanzungsimperativs stets auf Neue ausgefochten werden muss.

Die Charakteristika des Rudeloberhaupts, des Alpha Male, erklärt der Youtuber alpha m., 6,36 Millionen Subscriber hinter sich, in einem Video: Autorität haben sie, charmant sind sie – sie konfrontieren sich mit ihren eigenen Problemen und sind authentisch. Sie können sich kontrollieren und sind physisch und mental stark. 

In den Foren der Incels besitzt der Archetypus des natürlichen Alpha Male jedoch ein wesentlich schlechteres Standing. Die Meme-Variante des Alpha ist der »Chad«. Er wird für gewöhnlich als blond und riesig gezeichnet, besitzt ein vorspringendes Kinn und trägt neonfarbene Kleidung. Er ist oberflächlich und dumm, behandelt Partnerinnen schlecht – und übt gerade deswegen eine so unwiderstehliche Anziehung auf sie aus, dass er Hunderte »Staceys«, also ebenso stereotype Frauen, abschleppt. 

Eine Stufe unter dem Alpha Male rangiert in der Sprechweise der Manospherians der »Beta«: ein eigentlich passabel aussehender, intelligenter, oft freundlicher Typus, der aber gerade aufgrund seiner Zahmheit unablässig »gefriendzoned« wird – Frauen also bloß als platonische Bekanntschaft dient. Der »Sigma« ist ein Typ, der versucht, durch ein Dasein als einsamer Wolf dem Game zu entkommen; ihm kann ebenfalls kein Triumph gelingen – wir alle, Männer wie Frauen, sind genetisch darauf programmiert, uns an der sozialen Hierarchie messen zu müssen. Die äußerst ungleich verteilten Chancen auf Sexualität sind die Kernthese: 99 Prozent der Sexualkontakte würden von einem Prozent der Männer erlebt. 

Auf der niedrigsten Stufe der Leiter steht schließlich der »Omega Male«. Er ist unattraktiv, nicht maskulin und besitzt vor allem kein hierarchisches Bewusstsein – er weiß gar nicht, dass er ein Omega ist. In der Klassifikation der Männertypen wird hier ein erster Riss offenkundig: Man verachtet den Chad, den Alpha, weil er einem nimmt, was einem ohne ihn zustünde – auf der anderen Seite rechtfertigt man gerade durch diese biologistische Sicht die eigene Unterlegenheit. Kurse, wie man ein Alpha Male wird, werden zuhauf angeboten; nur, wozu jene Stacey, die von Natur aus wertlos ist, überhaupt rumkriegen? 

Und eins, so ein weiteres Meme der Community, darf man auf keinen Fall vergessen: AWALT, »all women are like that«. 

3. Apex Fallacy

In einem Fernsehduell, das fast schon Kultstatus hat, vertrat die Schriftstellerin Esther Vilar 1974 gegenüber Alice Schwarzer ein Argumentationsmuster, das von der Manosphere 30 Jahre später wiederaufgegriffen wurde: Alle vermeintlichen Benachteiligungen von Frauen würden in Wirklichkeit auf Fehlschlüssen basieren. So etwa der Gender-Pay-Gap. Dieser entstünde alleine durch die Extrapolation des Lebens der obersten Klassen. Dass es mehr männliche als weibliche CEOs gebe, werde beispielsweise von den Frauen so ausgelegt, dass alle Männer CEOs seien, wohingegen der durchschnittliche Mann nicht privilegierter sei als die durchschnittliche Frau. 

Nun gibt es »Apex Fallacies« – also Übertragungs- oder Generalisierungsfehlschlüsse – tatsächlich in allen möglichen Lebensbereichen; und das Thema Geschlechterverteilung von CEOs und ähnlichem Führungspersonal als Indikator für Geschlechterverhältnisse allgemein ist auch ein innerfeministischer Streitpunkt (Stichwort Klassenblindheit des liberalen Feminismus). Von den Manospherians wird die Apex Fallacy jedoch völlig falsch ausgelegt, indem sie sie just für das, was der Begriff kritisiert, einsetzen, nämlich eine unzutreffende Generalisierung: In gleichem Maße wie das CEO-Beispiel fehlerhaft sei, habe ein beliebiger Cis-Mann weder eine höhere Tendenz zu Gewalt noch finanzielle Vorteile, noch leiste er weniger unbezahlte Arbeit. Gerne wird in der Männerrechtsbewegung dieses Urteil in einen Umkehrschluss verwandelt: Im Grunde seien, da mit Quotenregelungen gegen einen Strohmann angelaufen werde, Männer heutzutage im Nachteil, was Scheidungen, Kinderfürsorge, ja sogar den Beruf betreffe. 

Und: Diese (Falsch-)Verwendung der Apex Fallacy ignoriert, dass die meisten feministischen Narrative sich systemimmanentem, nicht eliteinternem Sexismus zuwenden. 

4. Cock Carousel 

Was also treibt unsere Welt an, wenn es nicht hegemoniale, meist von Männern bestimmte Strukturen des Kapitalismus sind, wie es jede vernünftig erhobene Statistik nahelegt? Natürlich die weibliche Gen-Auslese! 

In der evolutionistischen Welterklärung der Manosphere-Anthropologen wird eine Frau von ihren Hormonen zwischen ihrem 18. und 30. Lebensjahr dazu getrieben, mit möglichst vielen Alphas Sex zu haben, oder anders: das »Cock Carousel« zu reiten.

Im Narrativ des 42-jährigen Manosphere-Influencers Elliott Hulse, dessen Agenda wie bei vielen aus der Szene in der Verkündung einer Maskulinitätskrise besteht, ist dies auf die bewusst herbeigeführte Auflösung einer religiös-naturgewollten Ordnung zurückzuführen. 

Im Video mit dem Titel »How To Find A Good Woman In A World Full Of Sluts« erklärt er: Eine Frau, die schon Sex mit anderen Männern hatte, sei »wie ein Taschentuch, in das Hunderte Male geschnäuzt wurde … Ekelhaft.« In anderen Videos (»Single Mothers and Other Women To Avoid«) erläutert er eine esoterische Wahnvorstellung, nach der der Samen früherer Liebhaber die DNA der Frauen, »die ihnen noch immer gehören«, verändern würde. 

Die krude Mischung aus konvertitisch-hartem Katholizismus und fehlverstandenem Darwinismus erzeugt ein ganz eigenes Bukett, in dem etwa auch mathematische Erwägungen eine Rolle spielen: »In dem Moment, wo man ein Auto aus dem Geschäft fährt, verliert es an Wert.« Also: eine tugendhafte Frau suchen, am besten in der Kirchengemeinde. Die Frau – eine Mischung aus Nutzgegenstand, Lustobjekt, keuscher Nonne und instinktgetriebenem Tier – muss sich förmlich durch alle Dimensionen biegen, um Hulses Vorstellung zu entsprechen. Wir scheinen unserer Biologie nicht entkommen zu können.

Die Verwirrung vergrößert sich, wenn man das restliche Oeuvre von Hulse ansieht: die Gefahr, die von Satan ausgeht; Selbstverbesserung durch Leiden; Samenretention; Gewichtheben; und natürlich Jesus Christus. 

5. Divorce Rape 

Was aber passiert, wenn die gottgewollte Ordnung nicht eingehalten wird? Wenn Frauen den gleichen Platz an der Sonne beanspruchen? Steigende Scheidungszahlen natürlich. Litaneinartig werden in der Manosphere, insbesondere aber von Vertretern der Männerrechtsbewegung, Benachteiligung bei Sorgerecht, finanzielle Absicherung des Nachwuchses und eine beschädigte Reputation nach einer Scheidung als Hauptleiden angeführt. Auch wenn es vielerorts berechtigt sein mag, über geschlechtsspezifische Stereotypen bei juristischen Normen und Entscheidungen im Sorgerecht diskutieren zu wollen, so wird bei genauerem Hinsehen klar, dass es keinesfalls um einzelne gesetzliche Ungereimtheiten geht, sondern um bloße Polemik. 

Paul Elam ist ein gutes Beispiel. Als Galionsfigur des auf realpolitische Veränderungen bedachten Flügels der Bewegung setzt er sich – oberflächlich gesehen – für die Änderung eines von den seinen als unfair betrachteten Rechtssystems ein. Doch dieser Aktivismus wurzelt in Haltungen, denen es mitnichten um die Herstellung von Gleichheit geht. So war Elams frühestes Projekt Register-her.com eine Seite, auf der Frauen mit Namen und Adresse gemeldet werden konnten, die unbewiesene Vergewaltigungsanschuldigungen zu Protokoll gegeben hatten. Einige der Frauen hatten sich auch bloß kritisch zur Männerrechtsbewegung geäußert. Den Oktober erklärte Elam zum »Bash a Violent Bitch Month«. Man solle eine Frau, die schon einmal häusliche Gewalt ausgeübt habe, zusammenschlagen (tatsächlich leiblich, also nicht nur im Sinne von »to bash« als »anprangern«), um sich »als wahrer Feminist« zu erweisen. So ist der Terminus »Divorce Rape«, auf Deutsch: Scheidungsvergewaltigung, nicht nur in der Wortwahl ungeheuerlich, sondern er ist auch inhaltlich programmatisch: Ein endloser Rachefeldzug der Geschlechter gegeneinander wird ausgerufen und das Auge-um-Auge-Prinzip beschworen – selbst wenn man dafür das eine oder andere zudrücken muss. Denn Geld für Unterhalt zahlen zu müssen, am Ende noch zu viel, ist doch dasselbe wie Vergewaltigung, oder? 

6. Femiservative 

Auch die Manosphere-Kultur hat, so wenig man sich das bei den präsentierten Thesen erklären kann, ihre Allies. Als »Femiservative« oder »Honey Badger« wird eine Frau bezeichnet, die die Forderungen der Männerrechtsbewegung und des Konterfeminismus unterstützt und sich in entsprechenden Organisationen engagiert. 

Zu den prominentesten Vertreterinnen gehört Karen Straughan, die sich mit ihrem Blog »Owning your Shit« und ihrem Youtube-Kanal zu einer der ersten hauptberuflichen weiblichen spokespeople der Manosphere gemausert hat. In ihrem zweitpopulärsten Video, »Feminism and the disposable Male«, berichtet sie vom Eindringen der Feministinnen in »male safe spaces« im Internet. In 16 Minuten legt sie dar, dass Männer in unserer Gesellschaft im Namen des Ausrufs »Frauen und Kinder zuerst« stets den letzten Platz einnähmen. Ein klassisches Argumentationsmuster der Männerrechtsbewegung: Männer sterben statistisch gesehen früher, ziehen häufiger in den Krieg, gehen seltener zum Arzt, begehen öfter Selbstmord – und was sonst als der Feminismus könnte daran schuld sein? 

Janet Bloomfield, Sprecherin von »A Voice for Men«, schließt an dieses Narrativ nahtlos an, wenngleich sie aus einer anderen Richtung kommt. Laut eigener Aussage begann sie sich für Männerrechte und konservative Lebensmodelle zu interessieren, als ihre Entscheidung, nach der Universität eine Karriere als Hausfrau einzuschlagen, von ihrem Umfeld mit Unglauben aufgenommen wurde. Diese persönliche Tragödie bekehrte Bloomfield zur Aktivistin und Rhetorin. Auf der Internationalen Konferenz für Männerrechte 2016 trug sie ein pinkes Shirt, auf dem »Feminism = Cancer« zu lesen war. Feminismus sei, so die These, vor hundert Jahren einmal mit Gleichberechtigung beauftragt gewesen, jetzt aber eine Verhüllung des Männerhasses. Das Patriarchat beschütze die Menschen in Wirklichkeit und unterdrücke nicht – Frauen wollen ja gar keine schwere, komplexe Arbeit verrichten! Feminismus suggeriere zudem, Frauen seien zu schwach, um sich auf normale Weise durchzusetzen. Ergo: »To heck with feminism!« 

Es sind die ältesten Argumente der Welt über die Freiwilligkeit von Versklavung, vorgetragen mit skislalomrtiger Ausweichbereitschaft für alle wissenschaftlichen Erhebungen, die Feministinnen, Politik- und Sozialwissenschafter jahrzehntelang erarbeitet haben, und verkörpert von einem fleischgewordenen argumentum ad hominem: Wenn es sogar eine Frau sagt, dann muss es ja stimmen. 

7. The Patriarch Convention™

Männerrechtler, die um Unterhalt streiten, um ihre Sexualität »beraubte« Incels und die Naturordnung preisende »Honey Badgers«: Wie organisiert sich nun diese in ihrer Diversität doch überraschend einheitlich denkende Szene? Was geschieht abseits von Reddit-Foren und Meme-Arbeit, von Influencertum und sündteuren Mitgliedschaften in Online-Brotherhoods? In den vergangenen Jahren wurde immer stärker versucht, durch große Events die verstreuten Redner und ihre (für die Kongresse viel zahlende) Klientel zusammenzuführen. 

Was bei diesen Gipfeln die verschiedenen Subkulturen verbindet, ist eine erleuchtungskonstruktivistische bis paranoide Weltsicht, wie man sie hierzulande von Corona-Leugnern und -Leugnerinnen kennt: die Annahme, die Mainstreammedien würden eine Art Simulationswelt beschwören, die den Realitätssinn systematisch zu verwirren trachtet. Das Schlagwort zur Verständigung der Erwachten lautet demnach: »Red Pill« – die Pille, die Neo in Matrix wählt, um die echte Welt zu sehen. Damit einher geht ein gewisses Sendungs- und Erweckungsbewusstsein, wie die ins Offline-Leben getragene Präsenz der Manosphere belegt. Ihren Messias haben die Männerrechtler, Pick-up-Artists und Incels in Anthony »Dream« Johnson gefunden, der vom 21. bis 24. Oktober 2021 die Tagung »Make Women Great again« hostet. Das Programm gleicht einer Parodie: Rund 20 Männer, die man aus der Szene kennt, bringen um 1.099 Dollar pro Ticket Frauen bei, wie man bis zu 700 Prozent weiblicher wird. 

Wer robust genug ist, die in Zuckerlrosa gehaltene Homepage 22convention.com in ihrer Ganzheit zu ertragen, kann dort im Disclaimer lesen: »This event is for biological females. Men can attend The 21 Convention and fathers can attend The Patriarch Convention™ on the same weekend at 21 Summit!« In der Fanartikel-Sektion kann man sich im Vorhinein mit Kappen ausstatten, die Aufschriften haben wie »Make Women Virgins again« oder »Make Women thin again«. Das Ganze wäre todkomisch, würde es sich nicht schon zum 15. Mal mit nicht geringem Erfolg wiederholen und die kombinierte Reichweite der Speaker sich nicht über weit mehr als 100 Millionen Follower erstrecken. 

Mehr als deutlich ist auch der strategische Einsatz von Trumpismen, eben etwa als Slogans auf den Fanartikeln, ja sogar expliziten Bezügen auf den Ex-Präsidenten. Dass die dem Alt-Right-Spektrum nahen Vereine hier Affinitäten hegen, kann nicht verwundern, die Verbindung geht aber über Memes hinaus. Einer der Redner, Pat Stedman, wurde vor Kurzem vom FBI wegen der mutmaßlichen Beteiligung am Sturm auf das Kapitol festgenommen. Von den Echoräumen, die man für bloße Internet-Polemik hält, ist es doch nicht allzu weit zur realen Politik. 

8. Omega Rage 

Nur die allerwenigsten Incels werden tatsächlich gewalttätig, aber sie sind es, die das Bild des jahrelang in seinem abgedunkelten Zimmer Aggressionen aufbauenden Nerds prägen. Alek Minassian, ein 28-jähriger Mann, der sich selbst als Incel identifizierte, lenkte 2018 einen Van in eine Menschenmenge in Toronto und tötete dabei zehn Menschen. »The incel rebellion has already begun«, hatte Minassian kurz vor dem Anschlag gepostet und als Begründung für seinen Hass die Zurückweisung durch Frauen angegeben. 2014 hatte bereits Elliott Rodger, den Minassian ein Vorbild nannte, sechs Personen mit Feuerwaffen getötet und dreizehn verletzt, ehe er Suizid beging. Auch er hatte die Incel-Bewegung als ausschlaggebend für seine Tat bezeichnet.

»Omega Rage« nennt die Manosphere die teils gegen sich selbst, teils gegen andere gerichtete Aggression, die in jungen Männern erwächst, wenn sie nicht genug von dem Sex bekommen, der ihnen ihrer Meinung nach zusteht. 

Die Haltung dazu ist in der Community paradox (überhaupt, Paradoxien ziehen sich durch die Gedankengänge in der Manosphere). Auf der einen Seite betont man, dass nicht alle Incels – ja die wenigsten – zu Tätern im juristischen Sinne würden. Auf der anderen Seite wird die Schuld für die Gräuel auf die ein oder andere Weise doch wieder bei der Gesellschaft gesucht, die allen Nicht-Alphas ein naturgegebenes Bedürfnis verwehre. 

»THERE IS A MASCULINITY CRISIS«, liest man etwa auf der Seite von Elliott Hulses Selbstverbesserungszirkel »Kings Initiation«. Darunter: Zeitungsausschnitte von Amokläufen und die Feststellung, Männer hätten »irgendwo auf der Reise ihren Weg verloren«. Die Lösung, die der Männerrechtsbewegung für jeden Missstand vorschwebt, ist darum auch ein Mehr an traditionellen Geschlechterrollen, ein Zementieren jenes Maskulinitätswahns, der gerade der Grund für diese Morde ist, die man damit angeblich verhindern könnte. Die Botschaft an die Frauen ist klar: Schlaft mit den Omegas, sonst ist ihr gerechter Zorn durch nichts von euch abzuwenden. 

9. Red Pill 

Die Parallelrealität der Manosphere schafft eine krude Verbindung aus Westentaschen-Buddhismus und einer dem Film Matrix entnommenen Vulgär-Epistemologie: Jeder Mensch steht in diesem Wahngebilde vor der Wahl, entweder die rote Pille zu nehmen, die wahre Realität zu erkennen und zu einem depressiven oder aktivistischen »Bodhisattva«, also Erleuchteten, zu mutieren; oder sich für die blaue Pille zu entscheiden und in die (schein-)normale Welt zurückzukehren. 

Alternativ (oder ergänzend) zu diesem dualistischen Weltbild kursiert in der Manosphere die Idee von »The Game«, dem Spiel, ein Terminus für das gesamte Leben, der auf einen der Ursprünge der Manosphere in der Pick-up-Artist-Szene verweist. Das Game besteht darin, die Variablen der Sexualität manipulieren zu lernen – also mit pseudopsychologischen Techniken die wahre Natur der Frau, die von Alphas schlecht behandelt werden möchte, zu bespielen. 

Letzten Endes muss das Game immer verlassen werden – im schlimmsten Falle, weil man die »Black Pill«, die fatalistischste der Erweckungsdrogen, schluckt. Dann gibt es keine Hoffnung, da man erkennt, dass wir alle vollkommen biologisch determiniert sind und das Einzige, was den Erfolg bei Sexualpartnerinnen ausmacht, das Aussehen ist. 

Nichts ist real außer der Manosphere! Sein Rudel aus maskulinen Männern zu finden, ist ein Zwischenschritt in die neue Weltordnung, »finding Zion and building relationships in the ›real‹ world«. Denn am Ende der Entwicklung der Manosphere steht nichts Geringeres als eine Wiedergeburt der Zivilisation durch die Rekonfiguration der Geschlechterrollen. Oder eben die Rache.

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