Unkorrumpierbare Humanität

von Richard Schuberth

490 wörter
~2 minuten
Unkorrumpierbare Humanität
Thomas Ebermann
Störung in Betriebsablauf Systemirrelevante Betrachtungen zur Pandemie
Konkret Literatur Verlag, 2021, 134 Seiten
EUR 20,10 (AT), EUR 19,50 (DE), CHF 27,90 (CH)

Covid-19 als Vorspiel zu weiteren erwartbaren Pandemien brach nicht, wie wir spätestens seit den Interventionen des Biologen Rob Wallace wissen, wie eine Naturgewalt über die Menschheit herein, sondern ist zu einem Schlechtteil schwindender Biodiversität, Landübernutzung und Massentierhaltung geschuldet, der kapitalistischen Verdinglichung von Mensch und Natur also. Und als wäre die Linke nicht schon fragmentiert genug, hat die Seuche Frontlinien vertieft oder neu gezogen, zwischen konstruktiven Staatsloyalen und Staatskritikerinnen, solchen, die den Faschismus in zu wenig, und solchen, die ihn in zu viel Regieren witterten; und leider auch gezeigt, wie sehr die Ökumene der Verharmloser und Irrationalistinnen manche Teile sich links Wähnender eingemeindet hat. Auf keinen Virus kann sich indes der Verlust dialektischen Denkens ausreden – der Fähigkeit also, ebenso über Entweder-oder wie Sowohl-als-auch hinauszudenken, ohne Gesinnung einzubüßen und in Relativismus zu verfallen. Auch hier ist ein Veteran der Gesellschaftskritik wie Thomas Ebermann eine verlässliche Kompassnadel eines Denkens, das keinen Anspruch auf letztinstanzliche Richtigkeit erhebt, aber kraft stilistischer Souveränität und unkorrumpierbarer Humanität auffällig differenzierter ausfällt als vieles, was in der Linken über Covid-19 geschrieben wurde. Ebermann, Mitbegründer und Kritiker der deutschen Grünen, ist einer der wenigen an der Frankfurter Schule geschulten Publizisten, die aus dem Proletariat kommen und Gewerkschaftsarbeit und linke Basispolitik von innen kennen.

Grundiert werden seine Aufsätze von der Gewissheit, dass dem notwendig autoritären Covid-19-Management der meisten Staaten trotz aller humanitärer Rhetorik »das Ausbalancieren von akzeptierten Opfern und die Vermeidung einer ›zu hohen‹, das nötige Reservoir der Ware Arbeitskraft beeinträchtigenden Zahl von Infektionen« zugrunde lag.

Hier bleibt auch nicht die Kritik jener linken »Ausnahmezustands«-Gegner aus, die gegen jede Maßnahme als Probelauf des autoritären Staates opponierten. Dies könne nur mit einer Verharmlosung der Seuche einhergehen, die solche Positionen mit Rechten, Querfrontlerinnen und manchen Kapitalfraktionen teilen. Auch der ihnen zugrunde liegenden zivilisatorischen Verwahrlosung weiß Ebermann in spannenden Analysen nachzugehen. 

Wohlwollender fällt seine Kritik der Initiative #ZeroCovid aus, deren Forderung nach Stilllegung des gesamten Produktionssektors er zwar zustimmt, auch deren ökosozialer Neuausrichtung von Arbeit und Produktion, die allerdings doch entlang kapitalistischer Effizienzkriterien argumentiere.

»Man muss das Graduelle nicht verachten; der konkrete Einsatz für Reformen, die das Leben erleichtern, Not lindern, Menschenleben retten, ist linker Alltag, der sich allerdings nur legitimiert durch den Verzicht auf jeden Verweis auf die Nützlichkeit des jeweiligen Handelns für das bestehende Falsche. Jede Kalkulation, was etwa ein Geflüchteter als potentielle Arbeitskraft, Steuer- und Rentenbeitragszahler einbringen würde, verbietet sich. Selbst wenn das Argument ein humanistisches Anliegen plausibilisieren soll, bewirkt es die Degradierung des Menschen zu Material.«

Ebermanns Aufsatzsammlung dürfte die bislang profundeste linke Auseinandersetzung mit den Widersprüchen von Corona-Diskurs und -Politik sein, lehrreich vor allem dort, wo sie ihr Sujet in einen breiteren systemkritischen Rahmen setzt. Keine fertige Thesen hämmert sie Lesern und Leserinnen ein, sondern legt ihre Denkbewegungen offen, kompromisslos und doch nie apodiktisch.

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