Schimmel und Paradies

von Jana Volkmann

539 wörter
~3 minuten
Schimmel und Paradies
Jenny Hval
Perlenbrauerei
Aus dem Norwegischen von Rahel Schöppenthau und Anna Schiemangk. März Verlag, 2022, 168 Seiten
EUR 22,70 (AT), EUR 22,00 (DE), CHF 29,50 (CH)

In den sechziger Jahren hat die Kunst den Schimmel entdeckt. Der Schweizer Dieter Roth hat den Zerfall des Organischen ins Zentrum seiner Objekte und Happenings gerückt, seine Käsekoffer und Hasenköttel-Hasen und natürlich die Schimmelbilder vermodern noch heute in Museen für moderne Kunst.

Nun, 60 Jahre später, hat Jenny Hval den Schimmel wiederum in den literarischen Materialfundus erhoben. Die norwegische Musikerin, Multimediakünstlerin und Schriftstellerin beginnt ihren Roman Perlenbrauerei als einen verdächtig gewöhnlichen Campus-Roman. Johanna, genannt Jo, kommt zum Biologiestudium in das australische Küstenstädtchen Aybourne. Die anderen Studierenden interessieren sie mäßig, ebenso die Vorlesungen; allenfalls für Pilze und Sporen bringt sie Begeisterung auf. Zunächst zieht sie in ein Hostel – in eine Dachkammer mit gelber Wandtapete. Als sie sich auf die Suche nach einer richtigen Wohnung begibt, erhält sie eine einzige Zusage: Carral, die ein Gebäude im früheren Indus­trieviertel bewohnt, ist auf der Suche nach einer Mitbewohnerin. »Mit ihren offenen Räumen, Leitern und Wänden aus Spanplatten ähnelt die Fabrik eher einem Skelett als einer Wohnung«, stellt Jo fest. Von Privatsphäre kann in der Fabrik, einer ehemaligen Brauerei, keine Rede sein – selbst die Wände des Badezimmers sind bloß Spanplatten –, und so herrscht zwischen den beiden Frauen von Anfang an eine unerklärliche, aber glaubwürdige Intimität: »Später am Abend […] lag ich wach in meinem neuen Bett und hörte Carral in einem Buch blättern. Ihre Finger schabten über das Papier, der Buchrücken knackte und die Bindungsfäden spannten sich.«

Der Roman folgt fortan seiner eigenen Traumlogik, aus dem Campus-Roman wird ein queeres Kunstmärchen. Carral kauft Äpfel ein, so viele, dass sie im ganzen Gebäude zu sein scheinen und unweigerlich zu schimmeln beginnen. Das mit schwerem und süßlichem Duft faulende Obst wird zum zentralen Motiv des Romans (der in der englischen Übersetzung den schönen Titel Paradise Rot trägt). Es löst mehr Faszination als Ekel aus; allenfalls lässt sich ein niedrigschwelliger und subtiler Effekt dessen beobachten, was man nach Julia Kristeva als »Abjektion« bezeichnen könnte: Das, was einen abstößt, konfrontiert einen mit den eigenen Ängsten, mit Verdrängtem und Begehrtem.

Die Dynamik zwischen Jo und Carral verschiebt sich spätestens, als Carral kränkelt, ständig erschöpft ist und tagsüber so tief einschläft, dass Jo sie kaum wecken kann. Sie sucht Schutz bei Jo, die plötzlich die Stärkere der beiden ist. Analog zum Gebäude, in dem schließlich ein riesiger Pilz aus der Badewanne sprießt, wirkt auch Carrals Körper einer unaufhaltsamen Zersetzung anheimgefallen. Daran kann auch der Nachbar Pym nichts ändern, ein Schriftsteller, der ständig bei Carral und Jo auftaucht, mal mit der einen, dann mit der anderen anbandelt und die fein austarierte erotische Spannung zwischen ihnen aus der Balance wirft. Das verrottende Paradies aus Hvals Roman, die titelgebende Perlenbrauerei, wirkt im Sterben so lebendig, dass sie beinahe die Rolle einer weiteren Romanfigur einnimmt. Nicht wie Pym ein Antagonist zu Carral und Jo, sondern viel eher die Synthese aus ihnen beiden. Dieser außergewöhnliche Roman erzählt die vielleicht schönste surrealistische Liebes- und Krankheitsgeschichte seit Boris Vians Schaum der Tage.

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