Ein Schild gegen die Angst

von Andrea Heinz

508 wörter
~3 minuten
Ein Schild gegen die Angst
Evelyn Steinthaler
Das Mädchen und der Umhang
Bahoe Books, 2022, 141 Seiten
EUR 19,00 (AT), EUR 19,00 (DE), CHF 26,90 (CH)

Während hierzulande überlegt wird, wie man die Erinnerungen der zunehmend dezimierten Holocaust-Zeitzeugen in eine digitale Zukunft überführen kann, vermeinen manche, dass über diese Zeit schon zur Genüge Zeugnis abgelegt worden sei. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass noch lange nicht alle Geschichten dieser Menschen erzählt wurden. Geschichten wie jene von Katja Sturm-Schnabl. Die 1936 geborene Slawistin und Literaturwissenschafterin, Trägerin des Goldenen Verdienstzeichens der Republik Österreich, gehört der Kärntner slowenischen Volksgruppe an. Während des Zweiten Weltkrieges wurde ihre Familie, wie viele andere Mitglieder der slowenischen Minderheit, »ausgesiedelt«. Dass sie zu ihrer slowenischen Identität standen, war einer der Gründe dafür – der andere und womöglich ausschlaggebende, dass sie im Besitz des prosperierenden, begehrten Toman-Hofes waren.

Die Klagenfurter Autorin Evelyn Steinthaler hat über Wochen hinweg mit Katja Sturm-Schnabl gesprochen und dokumentiert ihre Geschichte in literarisierter Form, als Roman: Das Mädchen und der Umhang. Darin erzählt sie von Katjas früher Kindheit, dem idyllischen Aufwachsen am Toman-Hof mit den Eltern Zofija und Andrej, den Tanten Mica und Neža, den beiden kleinen Brüdern – und der über alles bewunderten großen Schwester Veronika, genannt Veri. Alles wird sich ändern, als im April 1942 eine ungeschlachte Horde Nemci, Deutsche, die Sturms von ihrem Hof vertreibt. Gemeinsam mit anderen slowenischen Familien – allesamt besitzend, wie Steinthaler betont – treten sie eine beschwerliche, erniedrigende Reise in Viehwaggons an, Mutter und Kinder Sturm landen schließlich im Zwangsarbeitslager Eichstätt. Bereits auf dem Weg legt Katja ihren Umhang an, der ihr Zeit ihres Lebens gute Dienste erweisen wird: ein Schild, um die feindliche Umgebung, besonders die Nemci, nicht ihre Angst, ihr Innerstes sehen zu lassen. Aber eben auch etwas, das sie von ihrer Umwelt, ihren Mitmenschen isoliert – und das sie dennoch ihr Leben lang benötigen wird. Das zeigt sich vor allem nach der Befreiung, nach der für die Lagerkinder nicht etwa die erhoffte paradiesische Zukunft in Freiheit anbricht, sondern die lebenslange Auseinandersetzung mit erlittenen Traumata. Für Veri gibt es nicht einmal diese Zukunft, sie wird im Lager von einem NS-Arzt ermordet. Die Mutter findet zeitlebens keine Worte dafür, sie sind ihr genauso abhandengekommen wie das Vermögen, zu lächeln.

Steinthaler erzählt die Geschichte von Sturm-Schnabl in weniger chronologisch als inhaltlich gegliederten Kapiteln; in Exkursen etwa auch über entfernte Verwandte wie Adele Sturm, die von der Zwangsarbeiterin zur geschätzten Gesellschafterin der Ehefrau eines SS-Generals »aufsteigt«, die aus Zuneigung zu ihr letztlich gegen die geplante Ermordung von 900 Kärntner Sloweninnen eintritt und damit auch erfolgreich ist. Steinthaler wirft aber auch ein Schlaglicht auf die himmelschreiende Ungerechtigkeit, die den Kärntner Slowenen noch lange nach dem Krieg in Österreich widerfuhr. Die Formulierungen geraten ihr bisweilen ein wenig zu umständlich, die manchmal etwas zu beflissene Betonung der Schrecklichkeit des Erzählten hätte es angesichts der eindringlichen Fakten gar nicht gebraucht. Es ist dennoch ein wichtiges, lohnendes Buch, das nicht zuletzt eines zeigt: wie tief sich der Krieg gerade in Kinderseelen eingräbt, wie sehr er ganze Lebensläufe prägt.

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