Schöpferische
Zerstörung

von Richard Schuberth

Der Kolumnist Peter Michael Lingens hat eine tolle Idee, um die Kapitalmaschine am Laufen zu halten: Arbeitslose aus Südeuropa könnten in einer EU-Armee dienen.

Wer als junger Mensch im Österreich der 1980er Jahre Linker wurde und statt Diskurskritik Ideologiekritik betreiben wollte, dem standen im heimischen Mediensumpf ein paar prächtige Schulschiffe zur Verfügung. Novizen arbeiteten sich am ORF-Ustascha-Sprecher Alfons Dalma oder dem Staberl der Kronen Zeitung ab, die Fortgeschrittenen erprobten sich bereits an liberaleren Gegnern wie dem Herold des freien Marktes Peter Michael Lingens. Wie schön, dass diese angejahrte Korvette aus dem Kalten Krieg dem linken Nachwuchs nach wie vor zur Verfügung steht. Im Falter vom 1. Juni weist er in seinem Appell für eine autonome EU-Armee ganz richtig auf die Verbrechen des NATO-Mitglieds Türkei in Rojava hin.

Doch es wäre nicht Lingens, würde er das Wohlwollen nicht flugs wieder verspielen. Unabsichtlich findet er im selben Text die Antwort dafür, wieso solch eine EU-Armee europäische Bürger nicht nur vor fremden Invasoren, sondern auch vor ihrem eigenen »wirtschaftsstarken Norden« schützen müsste: »Die EU«, so Lingens, »kann die geforderte Streitmacht dank ihres wirtschaftsstarken Nordens also problemlos finanzieren; aufeinander abgestimmte Rüstungsunternehmen könnten dadurch sogar florieren; und etliche Arbeitslose des ›Südens‹ könnten als Berufssoldaten sinnvolle Beschäftigung finden.«

Es darf bezweifelt werden, dass sich der Veteran des Systemkampfs bewusst war, welch Breitseite an Wahrheiten er da in einem Satz abgefeuert hat. Wie durch ein spiritistisches Medium spricht aus ihm der Geist des Spätkapitalismus. Und offenbart die ökonomische Hierarchie innerhalb dieser Wertgemeinschaft, die sich so gerne als Wertegemeinschaft drapiert und der jede äußere Bedrohung zupasskommt, die inneren Widersprüche mit dem alten bürgerlichen Freiheitspathos zu kaschieren. Was Lingens als glückliche Koinzidenz formuliert, gehorcht einer bewährten Kausalität: Die Rüstungsunternehmen sollen florieren, indem die Sinnlosen des Südens sinnvolle Beschäftigung finden.

Die durch deutschen Export-Egoismus in den Süden exportierte und durchs zentraleuropäische Austeritätsregime sozial entsicherte Arbeitslosigkeit kriegt eine letzte Chance: mit der Waffe in der Hand zur Ehre des Nord-Süd-Gefälles zu fallen.

Natürlich schwingt in Lingens Rede von der »sinnvollen Beschäftigung« das Ressentiment gegen den unproduktiven Schlendrian des nutzlosen Essers mit, dessen Überflüssigkeit sich die Profiteure des Nordens als jenes Dolce Vita fantasieren, welches sie auf deren Kosten führen. Und sie offenbart die Irrationalität einer Kapitalmaschine, der aufgrund der Technisierung die Lohnarbeit ausgeht und die immer mehr Menschen aus dem Arbeitsmarkt katapultiert. Abwendung der ökologischen Apokalypse durch Green Capitalism erst mal auf unbestimmte Zeit aufgeschoben! Stattdessen Investition in Rüstungs- und Kriegswirtschaft. Auf Kosten der sozialen Sicherungssysteme, deren Klienten man zum Beispiel schlicht dadurch nicht länger durchfüttern muss, dass man sie in Kanonenfutter verwandelt. Da Sie bereits zum x-ten Male abgelehnt haben, für die europäische Wertabschöpfung zu sterben, Herr Schmarotzopoulos, müssen wir Ihnen leider die Transferleistungen streichen, »Die Hartz V«.

Die höchste Produktivität aller Zeiten und die technologischen Innovationen hätten die besten Voraussetzungen geschaffen, die Welt in ein »digitales Athen« (Ludger Eversmann) zu verwandeln, wo der Mensch, vom Zwang zu Arbeit entlastet, seine technischen Errungenschaften für sich malochen lässt. Doch diese Welt zieht es vor, ein digitales Sparta zu sein, in dem die digitalisierten Eliten ihre Gewinne und Grenzen durch Periöken und Heloten verteidigen und ausweiten lassen. Die USA schicken White Trash und mittellose Schwarze, Russland pauperisierte Sibirier und andere ethnische Minderheiten in ihre imperialen Kriege. Peter Michael Lingens aber möchte die faulen Säcke des Südens zu Sandsäcken aufschlichten. Gegen Russland und China? Mitnichten. Die Überflüssigen werden gegen die Flut der noch Überflüssigeren bewaffnet, welche die Produktion des Überflusses mit seinen unabwendbaren ökologischen und sozialen Folgen in unsere Wertegemeinschaft spülen wird.

»Lingens möchte die faulen Säcke des Südens zu Sandsäcken aufschlichten.«
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