Falsche Militanz der Bilderstürmer
von David Mayer
Dass der Klimaaktivismus über das gesetzlich Erlaubte hinausgeht, ist unvermeidlich. Eine sozial-ökologische Wende braucht aber keine Tabula rasa.
Die Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten haben klare Kante gezeigt: durch Straßenblockaden mit an der Fahrbahn festgeklebten Händen sowie durch Angriffe auf Gemälde in verschiedenen Museen. Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: In Berlin wurde der Vorwurf erhoben, die Aktivistinnen der Gruppe Letzte Generation seien für den Tod einer verunfallten Radfahrerin verantwortlich, zu der ein Bergungsfahrzeug der Feuerwehr wegen einer Straßenblockade nicht vordringen konnte (als ob der Stau eine Erfindung des Klimaaktivismus wäre). Auch im Falle der Bilderaktionen ist die salbungsvolle Betulichkeit unerträglich, da bisher alle betroffenen Werke durch Glas geschützt waren und daher auch nicht beschädigt wurden. Dennoch war schnell die Rede von einem neuen »Ökoterrorismus« oder einer »Öko-RAF«.
Die diesjährige Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Scharm El-Scheich (COP 27) hat nichts bewirkt – zumindest nicht, wenn man die ihr zugrunde liegenden Tatsachen bedenkt: dass das 1,5-Grad-Ziel de facto unerreichbar geworden ist und jede darüber hinausgehende Erderwärmung eine Reihe katastrophaler Folgen haben wird. Mit etwas Sinn für Proportionen, aber auch für die historische Entwicklung sozialer Bewegungen, scheint es daher unvermeidlich, dass die Klimabewegungen weltweit in den nächsten Jahren zu militanteren Mitteln greifen werden. Das Attribut »militant« ist bewusst gewählt: Es verweigert sich der im liberal-bürgerlichen Glaubenskanon verabsolutierten Dichotomie »friedlich – gewaltvoll«, die vor Scheinheiligkeit strotzt.
Wenn der Klimaaktivismus angesichts der Lage über den Rahmen juristisch erlaubten Widerstands hinausgeht, ist das gegen den Boulevard, aber auch gegen das Mantra einer rein institutionellen politischen Praxis zu verteidigen. Die liberale Kritik hat jedoch insofern recht, als sich die Klimaaktivisten angesichts handfesterer Aktionsformen die Frage stellen müssen, ob diese geeignet sind, breitere Allianzen zu schmieden. Das führt natürlich direkt in die klassischen Debatten über Strategie und politische Aktionsformen, wie sie die Linke seit ihrem Entstehen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundertsgeführt hat. Den jüngsten Aktionsformen – Straßenblockaden und Angriffe auf wertvoll gesehene kulturelle Artefakte – ist dabei ein G’schmäckle eigen: Sie richten sich symbolisch gegen »alle«. Es hat den Anschein, als ob die Aktivisten der Letzten Generation den Unterschied zwischen »Anthropozän« und »Kapitalozän« nicht ganz verstanden haben. Der Historiker und Klimaaktivist Andreas Malm hat in seinem Buch Wie man eine Pipeline in die Luft jagt betont: Herausfordernde Interventionen sollten sich symbolisch nicht gegen »die« Menschen richten, sondern zuvorderst gegen großes Kapitaleigentum oder kleines, klimazerstörerisches Privateigentum (z. B. SUVs).
Aber es gibt, gerade in Bezug auf die Zerstörung von Bildern, eine weitere symbolische Schräglage. Zugegeben, jede große Transformation des Weltbildes (und die Dekarbonisierung verlangt nach nichts Geringerem) geht in gewisser Weise mit Bilderstürmerei einher. Dies scheint umso passender, als die Botschaft vermittelt werden soll, dass ohne saubere Luft, trinkbares Wasser und genießbare Nahrungsmittel jedwedes kulturelle Artefakt gleichsam bedeutungslos wird. Doch auch hier ist ein seltsamer Pessimismus am Werk: Eine Mad Max-Szenerie, in der Kultur einer Tabula rasa erliegt, scheint der Letzten Generation offenbar wahrscheinlicher als eine postfossile, sozial-ökologisch gewendete Gesellschaft. Ein Mindestmaß an Optimismus verlangt dagegen die Vorstellung einer Welt, die in der Lage ist, das Brauchbare und Schöne vergangener menschlicher Bestrebungen als Ausgangspunkt zu nehmen. Die Klimakrise braucht mehr als radikale Verzweiflung – sie erfordert ein politisches Projekt.
»Es hat den Anschein, als ob die Aktivisten der Letzten Generation den Unterschied zwischen ›Anthropozän‹ und ›Kapitalozän‹ nicht ganz verstanden haben.«
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