Für Babler

von Samuel Stuhlpfarrer

Editorial TAGEBUCH 4|2023

Ginge es mit rechten Dingen zu, die Krise der Sozialdemokratie hätte längst so viele SPÖ-Experten hervorgebracht wie die Corona-Pandemie Virologinnen oder der Ukraine-Krieg Militärstrategen. So aber liegt es Woche um Woche an Josef Kalina, den Österreicherinnen und Österreichern Wesen und Weg der schwer gebeutelten Partei zu erklären. Zeit im Bild 2, Report, Runder Tisch – seit den niederösterreichischen Landtagswahlen und erst recht nach der Ankündigung des burgenländischen Landeshauptmanns Hans Peter Doskozil, den Bundesvorsitz übernehmen zu wollen, ist der ehemalige SPÖ-Politiker und heutige Unternehmensberater in den öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen Dauergast. Man fragt sich, wie der Mann all das neben dem Whitewashing der Russland-Geschäfte Siegfried Wolfs zeitlich noch unter einen Hut bringt.

Kalinas Eifer erklärt sich mit seiner Mission. Seit seiner Zeit als Sprecher des früheren sozialdemokratischen Kanzlers Viktor Klima fungiert er als unermüdlicher Advokat des »dritten Wegs« in der österreichischen Sozialdemokratie: Will die SPÖ Wahlen gewinnen, so das Mantra, muss sie Wählerinnen der Mitte ansprechen, und das gelingt am ehesten, wenn sie inhaltlich nach rechts rückt. Nach 25 Jahren lässt sich dieses Unternehmen vorläufig bilanzieren: Die Neoliberalisierung der Sozialdemokratie hat nicht nur die Lebensverhältnisse mehrerer Dutzend Millionen Menschen quer durch Europa zum Schlechteren verändert, sie hat auch früher stolze Parteien devastiert zurückgelassen. In Deutschland führte die Kanzlerschaft Gerhard Schröders zur Spaltung der SPD und läutete die Ära Merkel ein. 20 Jahre dauerte es, bis es die Partei wieder auf Platz eins schaffte – mit einem Ergebnis, das rund 13 Prozentpunkte hinter jenem der Bundestagswahl 2002 lag. Noch härter traf es die Sozialistische Partei in Frankreich – nicht einmal mehr zwei Prozent erreichte ihre Kandidatin bei den Präsidentschaftswahlen im letzten Jahr. Durch die britische Labour Party geht seit den Tagen Tony Blairs ohnehin ein Riss. Zwar hat der rechte Flügel nach dem Corbyn-Intermezzo die Partei wieder fest im Griff, und tatsächlich dominiert Keir Starmer heute die Umfragen – angesichts der desaströsen Performance der regierenden Konservativen und des Mehrheitswahlrechts auf der Insel hätten derzeit aber auch die Minions gute Aussichten auf einen Wahlsieg.

Dass eine neoliberalisierte Sozialdemokratie nicht nur keine Mehrheiten schafft, sondern das gesamte Parteienspektrum nach rechts zu verschieben hilft, das hat sich in Italien auch unter den Spitzenfunktionären des Partito Democratico (PD) herumgesprochen. Schließlich waren sie es selbst, die zu einem erheblichen Teil die Kandidatur der linken Elly Schlein unterstützt haben. Und zwar durchwegs auch aus reinem Opportunismus: Denn während die Parteilinke Schleins politische Orientierung, die ohne Neoliberalismus und Xenophobie auskommt, erfrischend findet, wittert das Establishment des PD die Chance, die kommende Premierministerin zu stellen, wie David Broder in unserer diesmaligen Titelgeschichte schreibt.

So viel Hausverstand wollten sich in der Debatte um die Führung der SPÖ freilich weder die Parteispitze noch Josef Kalina zumuten. Überhaupt schien es die längste Zeit so, als würden sich im Streit um die Parteiführung entweder falsche Gegensätze zementieren – da die den Lebenswelten der arbeitenden Menschen längst entwachsene, urbane Mittelschichtslinke Pamela Rendi-Wagner, dort der rechtsoffene, aber sozialpolitisch prononciertere Macher Hans Peter Doskozil; oder sogar gänzlich auflösen – beim Umgang mit Geflüchteten, in der wirtschaftspolitischen Ausrichtung, selbst in der Frage einer Koalition mit der FPÖ passt zwischen die beiden seit Jahren schon kein Blatt Papier mehr. Und dann kam Andreas Babler.

Nach Jahrzehnten, in denen die Linke in der SPÖ abgemeldet war, gibt es mit dem Traiskirchener Bürgermeister erstmals wieder eine realistische Option auf den Parteivorsitz. Ob das Unterfangen aufgeht? Vieles spricht dafür.

Zwar ist davon auszugehen, dass der Parteiapparat um Christian Deutsch jede denkbare bürokratische Hürde für eine tatsächlich demokratische Entscheidung über den Vorsitz aufzubauen bereit ist. Nützen wird das allerdings nichts. Rendi-Wagner hat die Hegemonie in der SPÖ längst verloren, sie ist politisch am Ende. Die Frage ist: Folgt jetzt ein Moment des Aufbruchs oder das nächste Kapitel in einer Geschichte des Niedergangs?

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