Psyche unterm Patriarchat

von Sonja Luksik

390 wörter
~2 minuten
Psyche unterm Patriarchat
Beatrice Frasl
Patriarchale Belastungsstörung
Geschlecht, Klasse und Psyche
Haymon-Verlag, 2022, 284 Seiten
EUR 19,90 (AT), EUR 19,90 (DE), CHF 27,90 (CH)

Mit einem gebrochenen Bein ins Krankenhaus gebracht und aufgrund fehlender kassenfinanzierter Behandlungsplätze von einer Ärztin sofort wieder nach Hause geschickt werden – ein hierzulande nur schwer vorstellbares Szenario nimmt Beatrice Frasl als Ausgangspunkt, um die Differenzen beim gesellschaftlichen Umgang mit psychischen und physischen Erkrankungen zu verdeutlichen. Die mit rezidivierender Depression diagnostizierte Autorin durchlebte selbst die langwierige und frustrierende Suche nach einem Psychotherapieplatz, in ihr Erstlingswerk Patriarchale Belastungsstörung fließen auch persönliche Erfahrungen ein.

Wie der Titel suggeriert, liegt der Schwerpunkt des Buches auf dem Zusammenspiel von Geschlechterverhältnissen, sozialer Ungleichheit und psychischer Gesundheit. Frasl arbeitet präzise heraus, wie kapitalistische Konkurrenz und Einzelkämpfertum zu sozialer Isolation führen, damit das Fundament für eine sich zuspitzende Epidemie psychischer Krankheiten legen – und auf welche spezifische Weise Frauen unter ihr leiden. Mit analytischer Schärfe werden herrschende Diagnosekategorien auf ihre Abhängigkeit von Kontext, Normen und Ideologien untersucht und hinterfragt. Dabei gelingt es, die ambivalenten Funktionen von psychia­trischen Diagnosen anzuerkennen und festzustellen, »dass Diagnosen sinnvoll sein können, für Betroffene sogar hilfreich«, zugleich aber ihre soziale Konstruktion hervorzuheben. Das ändere nichts an dem »Umstand, dass sie trotz dieser Konstruiertheit reales Leid beschreiben, das behandelt werden muss«.

Ein besonders bedrückendes, jedoch gut recherchiertes und aufbereitetes Beispiel für eine derartige soziale Konstruiertheit von Diagnosen findet sich gegen Ende des Buches mit einem historischen Blick auf angeblich weibliche Krankheitsbilder: Die Pathologisierung von Frauen anhand der Dichotomie »femme fatale / femme fragile« und daran anschließende Behandlungsmethoden werden detailliert beschrieben. Die Geschichte der Hysterie und ihrer Behandlung erscheint so als »eine Geschichte der Misshandlung psychisch kranker Frauen bzw. jener Frauen, die auf Basis unpässlichen Verhaltens als psychisch krank pathologisiert wurden«.

Auch wenn die Autorin mehrmals betont, dass es sich bei Patriarchale Belastungsstörung um keinen Ratgeber handelt, verschwimmt die Grenze zwischen Sachbuch, Erfahrungsbericht und Ratgeber stellenweise. Das ist bei einem informativen Überblick über Institutionen, Behandlungen und Therapieschulen wenig bedenklich, wirkt bei der Bewertung von antidepressiven Medikamenten als Placebos jedoch einseitig.

Wohl etwas weniger umstritten sind die Handlungsempfehlungen in Form von politischen Forderungen: Sie reichen von einem Ende der Kontingentierung von Psychotherapie-Kassenplätzen über Arbeitszeitverkürzung und bedingungsloses Grundeinkommen bis hin zu einem Schulfach »Psychoedukation«. Dem selbstgesetzten Ziel, den Diskurs um psychische Gesundheit und Erkrankung zu repolitisieren, ist Beatrice Frasl mit ihrem lesenswerten Buch ein Stück näher gekommen.

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