Eine Reform, die Europa gefährdet

von Bernd Kasparek

Die EU beschloss die bis dato einschneidendste Einschränkung des Asylrechts. Ein Gastkommentar.

Trotz großer inhaltlicher Differenzen einigte sich der Rat der Innenminister der EU-Mitgliedsstaaten am 8. Juni 2023 auf eine Verhandlungsposition bezüglich der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Damit machte er den Weg frei für den sogenannten Trilog: Kommission, Parlament und Rat werden nun aus ihren jeweiligen Positionen einen Kompromiss bilden. Dieser soll dann bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2024 Gesetz werden.

Hinter diesen formalen Prozessen verbirgt sich die wohl einschneidendste Einschränkung des europäischen Asylrechts seit dessen Schaffung. Kernstück der Reform ist die Einführung beschleunigter Grenzverfahren für Asylsuchende. Diese können die notwendige inhaltliche Qualität nicht garantieren. Im Hotspot-Labor der griechischen Inseln zeigt sich schon heute, dass diese Verfahren vor allem darauf abzielen, eine Abschiebbarkeit herzustellen. Weiter soll die Definition der sicheren Drittstaaten massiv aufgeweicht werden, um neue Ausschlussgründe bezüglich des Asylsystems zu schaffen. Gleichzeitig stellt die Reform kaum den notwendigen Einstieg in ein tatsächliches europäisches Solidarsystem dar. Die angekündigte Umverteilung von 30.000 Schutzsuchenden pro Jahr ist wenig ambitioniert. Die Tatsache, dass sich Mitgliedsstaaten mit der geringen Summe von 20.000 Euro pro Person freikaufen können, signalisiert, dass es sich um eine optionale Solidarität handelt. So wird die Reform das strukturelle Problem des europäischen Asylsystems nicht überwinden können. Gleichzeitig werden die Verfahren das Leiden an den Grenzen verschärfen. Die Gewalt der Pushbacks wird sich fortsetzen, bei Ausweitung der Inhaftierung und dem Ausschluss Schutzsuchender aus dem europäischen Asylsystem. Die Reform wird also weder die tatsächlichen noch die vermeintlichen Probleme Europas vis-à-vis der Migration lösen.

Es ist davon auszugehen, dass in wenigen Jahren, wenn sich das Scheitern der Reform abzeichnet, die Rechte in Europa ihre Hetze noch weiter verschärfen wird. Und dass dann grundlegende Errungenschaften zur Disposition stehen werden: nicht nur das Recht auf Asyl, sondern auch die Bewegungsfreiheit und rechtsstaatliche Garantien in Europa.

»daHinter verbirgt sich die einschneidenste Einschränkung
des europäischen Asylrechts seit dessen Schaffung.«
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