Absurd, aber nicht lustig

von Jana Volkmann

Editorial TAGEBUCH 9|2023

Schön, wieder einen veritablen Horrorsommer inmitten von Waldbränden, Kriegen und Inflation runtergebogen. Jetzt werden die Freibäder endlich schlagartig leerer, und wer um kurz vor acht in der Früh im Bus sitzt, sieht lauter lange Gesichter: Die Schule geht wieder los. Österreich startet zuverlässig mit einem eklatanten Mangel an Lehrerinnen und Lehrern ins neue Schuljahr, weshalb Bildungsminister Martin Polaschek und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (beide ÖVP) den gemeinsamen Vorschlag gemacht haben, leere Stellen mit Quereinsteigern aus dem Heer zu besetzen. Was für ein Einfall! Wer hätte nicht gern Musik- oder Sportunterricht von Soldatinnen bekommen? Die dürften sich wenigstens qua Hauptberuf bereits gut mit dem Curriculum auskennen, das ab diesem Herbst um mehr Kenntnisse in »umfassender Landesverteidigung« ergänzt werden soll.

Auch an den Schulbüchern soll das Heer künftig kräftig mitschreiben. Das ist absurd, aber keineswegs lustig – Kathrin Niedermoser kommentiert, was von dem Vorstoß zu halten und wie er in einen größeren Zusammenhang zum gegenwärtigen Zeitgeist zu stellen ist. Und Matthias Schnetzer legt in seiner Kolumne »Datendrang« Zahlen über Bildungswesen und Bildungschancen in Österreich vor. Wer hier die Uni besucht, hat nach wie vor mit hoher Wahrscheinlichkeit Eltern, die ebenfalls Akademikerinnen und Akademiker sind – kurz gesagt: »Das Bildungswesen (re-)produziert sozioökonomische Ungleichheiten.« Natürlich gibt es längst einige brauchbare Vorschläge, wie diese Ungleichheiten mittelfristig austariert werden könnten, das Problem ist ja nicht gerade neu. Aber die Schlagzeilen dominieren eben Meldungen über die enger werdenden Bande zwischen Bildungs- und Verteidigungsministerium.

Apropos absurd – Twitter heißt jetzt X, was scheint’s niemanden überrascht. Der blaue Vogel ist tot, und keiner trauert groß um ihn. Wer sich dort loseisen konnte, ist sowieso schon vor Wochen und Monaten zu Mastodon übergetreten, und wer trotz Elon Musks offenkundig fehlender Impulskontrolle und damit verbundenen Unwägbarkeiten noch bei Ex-Twitter bleibt, der bekommt solche anscheinend über Nacht getroffenen Entscheidungen wenigstens aus der Nähe mit. Sogenannte Markenexperten finden das ohnehin schlüssiger als das Gros der ganz normalen Userinnen: »Genialer Schachzug«, titelte etwa das Manager Magazin, aber das Schäfermatt ist ja auch ein genialer Schachzug, sofern das Gegenüber drauf reinfällt. Auf Mastodon wirkt indes alles noch ein bisschen unaufgeräumt, aber alle sind sehr nett zueinander und posten tolle, interessante Sachen (zumindest in meiner noch recht überschaubaren Blase). Ich habe mehr Bilder von Vögeln im Feed, als ich es mir anhand meiner persönlichen Interessen rational erklären könnte, obwohl das etwas alberne Wort »zwitschern« hier durch das noch viel albernere Wort »tröten« ersetzt wurde.

Als riesige, in der allgemeinen Wahrnehmung weitgehend unkommentierte ökologische Katastrophe wütet derweil die Vogelgrippe. Zuerst hatte es hauptsächlich Seevögel getroffen; in Wien begann alles Ende Dezember vergangenen Jahres mit einem toten Höckerschwan. Da waren anderswo längst ganze Kolonien von Seevögeln an der Krankheit gestorben. Schließlich infizierten sich auch immer mehr Säugetiere. Diesen Sommer wurde etwa bei Hauskatzen in Polen die aktuelle Vogelgrippevariante diagnostiziert. Bei Menschen ist die Krankheit bislang noch nicht nachgewiesen worden. Kein Grund zur Panik also? Von einem Foto auf Mastodon schaut mich ein Kleiber an, der laut Bildbeschreibung in der typischen Kleiberpose auf dem Baumstamm hockt, so als wollte er gleich wieder losfliegen. Für mich ist er einfach ein kleiner, hübscher Vogel. Er hat eine Nuss im Schnabel und hoffentlich keine Ahnung von dem, was da momentan geschieht.

Was allem zum Trotz ganz extrem schön ist: Der allererste Redaktionsnachwuchs ist da, und wir freuen uns sehr. Bis sie in die Schule kommt, werden hoffentlich neue Regierungen neue Entscheidungen fällen, dann wird sie von Leuten lernen, für die ihr Beruf nicht bloß ein zweiter Schritt in der Karriere beim Heer ist.

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