Freiheit im Bleiben

von Sonja Luksik

379 wörter
~2 minuten
Freiheit im Bleiben
Eva von Redecker
Bleibefreiheit
S. Fischer, 2023, 160 Seiten
EUR 22,70 (AT), EUR 22,00 (DE), CHF 30,50 (CH)

»Wissen Sie, wie es sich anfühlt, wenn die Schwalben wiederkommen?« ist jene Frage, mit der Eva von Redecker ihren Essay beginnt und beschließt. Bot die Ankunft der Schwalben der ländlichen Bevölkerung vormals jahreszeitliche Sicherheit, ist diese heute zu einer zutiefst zerbrechlichen Bestätigung des Fortwirkens ökologischer Zyklen geworden. Vögel, Sinnbild für Freiheit, fliehen aus Gebieten mit zu wenig Nahrung und verdeutlichen damit die Grenzen von Bewegungsfreiheit: So sei »Bewegungsfreiheit auch nur Freiheit, wo das Bleiben möglich wäre«.

In kritischer Auseinandersetzung mit historischen Konzeptionen von verewigter Freiheit (Sokrates, Platon) oder Besitzindividualismus (Hobbes, Locke) sowie der rezenten gesellschaftlichen Sehnsucht nach unendlicher Zeitlichkeit und räumlicher Ausdehnung entwirft Eva von Redecker eine Agenda der Verzeitlichung von Freiheit. Der Begriff Bleibefreiheit beschreibt ein Hierbleiben, das den Tod als zugleich unerträglich und unvermeidlich begreift; es geht um ein Weiterleben, in dem die endliche Lebensspanne nicht aus dem Blick verloren wird. Doch »das Bleiben allein ist noch keine Freiheit«, genauso wenig garantiert die Akkumulation von Zeit mehr Freiheit. Ungezwungene und erfüllte Zeit, »vollauf mit dem beschäftigt sein, was sich bietet, aber auch nicht zu fürchten, etwas anderes zu verpassen«, bedeutet für die Autorin Bleibefreiheit.

Ihre philosophischen Reflexionen, die sich mit intimen Passagen über Alltagsbeobachtungen, Gespräche mit Freundinnen oder Tode von geliebten Menschen abwechseln, zeichnen sich durch sprachliche Präzision und Leichtigkeit aus. Verschiedene Definitionen und Konzepte von Freiheit werden ausgeleuchtet; wissenschaftliche, literarische und popkulturelle Bezüge und Zitate raffiniert in den Text eingewoben. Eva von Redecker deutet zudem an, wie sich Bleibefreiheit politisch und wirtschaftlich ausdrücken könnte: in »gelingender Arbeitsteilung«, »Demokratisierung der Wirtschaft« und ökologischer Regeneration. Als Mittel der Veränderung mit höchster Befreiungskraft postuliert sie, der materialistischen feministischen Theoretikerin Verónica Gago folgend, den Generalstreik, der einen »Übergang zu einer anderen Zeitlichkeit« ermöglicht.

Je konkreter Bleibefreiheit sein will, desto vager wird es. Über diese Schwäche lässt sich als Leserin jedoch großzügig hinwegsehen, umfasst das Ziel des Essays ganz offensichtlich nicht die Ausarbeitung von konkreten Maßnahmen zur Stärkung von Bleibefreiheit. Eva von Redecker will dazu anregen, Freiheit zeitlich und erfüllte Zeit nicht linear und unaufhaltsam, sondern unter- und aufgebrochen von Neuanfängen zu denken. Und das ist ihr hervorragend gelungen.

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