Jana Sophia Nolle:
Lebenswelten

von Christina Töpfer

»Bilder der Auseinandersetzung« 9|2023. In Zusammenarbeit mit »Camera Austria International«.

Jana Sophia Nolle, #1 Berlin 2020/2022

San Francisco, die verlorene Stadt« lautete die Überschrift eines Artikels, der Anfang Juli 2023 in der Süddeutsche Zeitung erschien. Thematisiert wurden darin der massive Leerstand, der das Zentrum der Stadt spätestens mit der Covid 19-Pandemie erfasst hat, und die Zunahme der Obdachlosigkeit.

Als Jana Sophia Nolle im August 2016 San Francisco zum ersten Mal besuchte, war sie schockiert von der offensichtlichten Diskrepanz zwischen Arm und Reich. Auf der einen Seite die viktorianischen Villen und ein Wohlstand, der von Generation zu Generation weitergegeben wird, auf der anderen Menschen, die in selbstgebauten Unterkünften auf der Straße leben. Nolle, die neben Fotografie auch Politikwissenschaft und Konfliktforschung studiert hat, schaute genauer hin und kam mit einigen der Obdachlosen über die gleichermaßen improvisierten wie durchdachten »shelters«, in denen sie leben, ins Gespräch.

Aus diesen Gesprächen und einem längeren Aufenthalt in der Stadt entwickelte sich die Fotoserie Living Room (seit 2017). Nolle baute dafür die Unterkünfte Wohnungsloser mit teils gefundenen, teils nachgekauften oder ausgeliehenen Materialien in den Wohnzimmern wohlhabender Personen nach. Die zentralperspektivisch aufgenommenen Fotografien veranschaulichen die unterschiedlichen Dimensionen der jeweiligen Lebensräume – in den großzügigen, durchdesignten und in oftmals hellen Tönen gestalteten Wohnzimmern wird der temporäre, eklektische Charakter der »shelters« zusätzlich hervorgehoben. Zugleich wird deutlich, dass diese nicht weniger individuell und sorgfältig gestaltet sind als die Wohnzimmer der Reichen.

Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland setzte Nolle die Arbeit an dem Thema fort. Auch wenn hier die Unterschiede zwischen Arm und Reich auf den ersten Blick weniger sichtbar scheinen, sind sie doch spürbar und wurden durch die Pandemie und die Folgen des Ukraine-Krieges noch einmal verschärft. Während die Künstlerin in San Francisco auch Porträts und handschriftliche Notizen der Wohnungslosen in das Projekt einbezog, ist in Berlin eine Videoarbeit entstanden, in der es um die kontinuierliche Bewegung der Porträtierten geht – immer wieder müssen sie ihre Habseligkeiten zusammenpacken, die Behausung ab- und teils nur wenige Meter versetzt wieder aufbauen.

Jana Sophia Nolle, #14 San Francisco, 2017/2018
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