Archive of Public Protests: Widerstand auf Zeitungspapier

von Margit Neuhold

»Bilder der Auseinandersetzung« 10|2023. In Zusammenarbeit mit »Camera Austria International«.

Doppelseiten aus: Archive of Public Protests, Strike #9, 2023, n. S.

»Ihr Herz schlug noch« steht auf Polnisch in schwarzer Schrift auf dem braunen Karton in der Hand der jungen Frau zu lesen. Sie setzt sich für die reproduktiven Rechte der Frauen ein und ist Teil des Protests der Pro-Choice-Bewegung, die sich durch Polens Städte zieht. Im Jahr 2020 hat die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) eine Verschärfung des Abtreibungsgesetzes durchgebracht. Zuvor setzte das Verfassungsgericht die Regelung über den Zugang zu Schwangerschaftsabbruch auf Basis von unheilbaren Krankheiten oder schweren und irreversiblen Defekten des Fötus, die das Leben bedrohen, außer Kraft. Die Gesetzesänderung, die dieses Urteil nach sich zog, macht es, selbst wenn es gilt, das Leben der Schwangeren zu retten, fast unmöglich, legal einen Abbruch vorzunehmen.

Der abgebildete Schriftzug »Ani jednej więcej« (keine mehr), der Slogan der Pro-Choice-Bewegung, bezieht sich auf die Todesopfer. Knapp und faktenbasiert skizziert das Abortion Dream Team als Teil von Abortion Without Borders in der soeben erschienenen Strike #9 die Umstände, unter denen schwangere Frauen in polnischen Krankenhäusern ums Leben kamen.

Die unregelmäßig erscheinende Zeitschrift wird von Menschen hinter dem Archive of Public Protests herausgegeben und ist ein Werkzeug des zivilen Widerstands: Auf Zeitungspapier und im A3-Format zeigt sie Gesichter, Szenen und Parolen der Proteste. Die Zeitungen selbst werden verteilt, die Doppelseiten mit den Slogans aufgeklappt, auf Wänden plakatiert oder bei Demos getragen. Die Bilder speisen sich aus dem Archiv, das seit 2015 mit Fotografien aus verschiedenen Protestbewegungen in Polen, aber auch darüber hinaus befüllt wird: Sie zeigen Menschen, die sich gegen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine engagieren, gegen Frauenfeindlichkeit, Homophobie, Rassismus oder die drohende Klimakatastrophe.

In der Arbeit am Archiv geht es darum, diese Bilder wirkmächtig in unterschiedliche Kanäle zu schleusen, zirkulieren zu lassen und den öffentlichen Diskurs mitzubestimmen. Bis zum 1. Jänner 2024 nutzt Rafał Milach als Gründungsmitglied und Teil des Kollektivs seine Ausstellung im Museum Folkwang in Essen als Bühne für beides: die Bilder des Archivs und die Anliegen der engagierten Zivilgesellschaft.

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