Fluch und Vitalität

von Andreas Pavlic und Eva Schörkhuber

In seinem neuen Buch »Der Fluch der Muskatnuss« begibt sich Amitav Ghosh auf eine Reise durch Kolonialgeschichte und Klimakrise.

Im Frühjahr 1621 wurde die gesamte indigene Bevölkerung der Banda-Inseln, die heute zu Indonesien gehören, ausgerottet: ermordet oder versklavt. Der Generalgouverneur Jan Pieterszoon Coen erfüllte damit ein Vorhaben, das er seinen Vorgesetzten, den Direktoren der Niederländischen Ostindien-Kompanie (VOC), gegenüber folgendermaßen zum Ausdruck brachte: »Meiner Meinung nach wäre es am besten, ausnahmslos alle Bandanesen aus dem Land zu vertreiben.« Ausschlaggebend für dieses »Vorhaben« war die Tatsache, dass sich die ortsansässige Bevölkerung weigerte, der VOC das Handelsmonopol für Muskatnüsse und Muskatblüten einzuräumen. Seit Jahrhunderten handelten die Bandanesen mit vielen anderen Partnern im Indischen Ozean. Als erfahrene Handelsleute wussten sie, dass es wirtschaftlich völlig unsinnig wäre, sich einem einzigen Abnehmer zu verpflichten, noch dazu einem, dessen Waren für sie von keinem besonderen Wert waren. Die europäischen Kolonisatoren setzten ihr Monopol schließlich mit roher Gewalt durch, denn, wie Amitav Ghosh im ersten Kapitel seines gerade erschienenen Buches Der Fluch der Muskatnuss. Gleichnis für einen Planeten in Aufruhr schreibt: »Der Wettlauf um die Gewürze, heißt es, war der Wettlauf ins All der damaligen Zeit.«

Der Vergleich mit der Eroberung des Weltalls, das während des Kalten Krieges zum Spielball selbsternannter Supermächte wurde und heute als phantasmagorischer Fluchtpunkt superreicher weißer Männer herhalten muss, ist nicht zufällig: »Eine Muskatnuss aus der Frucht zu lösen ist, als fördere man einen kleinen Planeten zutage.« Ghosh entfaltet anhand der Geschichte der Banda-Inseln, die von jener der Muskatbäume, der Gewürznelken und des Vulkan Gunung Api nicht zu trennen ist, Schicht für Schicht, Schale um Schale, jene globalen Schnittflächen, an denen die frühe Neuzeit mit der Entstehung des Kapitalismus und der Ausbreitung des Kolonialismus auf unsere Gegenwart trifft. Die Kontinuitäten, die dabei zutage treten, waren und sind verheerend.

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