Ein Schuss ins Knie

von Jannik Eder

Foto: Christopher Glanzl

Sein Auftritt in der »ZiB 2« bringt Sebastian Kurz viel Spott ein, aber er wird weiterhin zwanghaft versuchen, seinen gesunkenen Stern zum Funkeln zu bringen.


651 wörter
~3 minuten

Eigentlich war das Thema schon abgefrühstückt, das Urteil gefällt, die Ereignisse eingeordnet. Doch Sebastian Kurz ließ nicht nach und begab sich am Montag zum Zwecke der Selbstverteidigung in die Fernsehstudios. Am Ende des Tages gab er ein Interview bei Armin Wolf in der ZiB 2, das schon jetzt als ein Nachrichtenfernsehen-Highlight des Jahres bezeichnet werden kann – eines von der Sorte, bei dem es einem beim Zuschauen körperlich unwohl wird.

Aber der Reihe nach: Nachdem der türkise Ex-Kanzler und sein ehemaliger Kabinettschef Bernhard Bonelli vergangenen Freitag wegen Falschaussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss am Wiener Landesgericht zu acht bzw. sechs Monaten bedingt verurteilt worden waren, ließen Kurz und einige seiner nach wie vor treu Ergebenen natürlich keine Zeit verstreichen, um energisch ihre Sicht der Dinge zu verbreiten. Kurz selbst bezeichnete das Urteil als »Zwischenschritt«, während Wortmeldungen wie die des ÖVP-Nationalratsabgeordneten Martin Engelberg die unter Türkisen weitverbreitete Meinung wiederholten, dass es beim Prozess nur um »Wortklauberei und Semantik« gegangen sei. Die frühere ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner half als Punktrichterin aus, Kurz sei zwar in einem Anklagepunkt schuldig, aber in zwei freigesprochen worden – also ein knapper, jedoch verdienter 2:1-Sieg.

Konfrontationskurs

Die Strategie war so durchsichtig wie vorhersehbar: Bloß nicht in die Defensive geraten! Reue zeigen, Fehler eingestehen, das ist des Ex-Kanzlers Sache bekanntlich nicht. Hätte er das dieser Tage getan, wären vielleicht sogar manche versucht gewesen, die Einschätzung, dass die ÖVP sich – spätestens seit dem türkisen Anstrich – weit von ihren Wurzeln im Christentum entfernt hat, teilweise zu revidieren. Bernhard Bonelli lieferte Kurz eigentlich die Steilvorlage für die Rückbesinnung auf christliche Werte. Im Gerichtssaal bezeichnete Bonelli, der in der Vergangenheit immer wieder mit der erzkatholischen Organisation Opus Dei in Verbindung gebracht wurde (was er stets bestritt), den Prozess als das »Erniedrigendste«, was er je erlebt habe; um alles zu verarbeiten, sei er auf Wallfahrt gegangen, seine Tochter habe ihn gefragt: »Daddy, musst du ins Gefängnis?«, sein Sohn ein Bild mit dem Richter und dem lieben Gott gemalt.

Nun, Kurz ging nicht auf Wallfahrt, sondern auf Konfrontationskurs, und zwar in den TV-Studios. Das muss man ihm lassen, der Mann ist ein echter Wadlbeißer, er lässt nicht locker. Beziehungsweise: Die Medien tun das auch nicht. Nachdem am Wochenende eigentlich alles von allen gesagt worden war, war Kurz am Dienstag Gast in mehreren Nachrichtensendungen. Da kann man sich natürlich fragen, ob es nicht irgendwann mal gut ist, ob Kurz’ Sucht nach Rampenlicht nicht schon ausreichend bedient wurde, ob es sinnvoll ist, ihm eine weitere Bühne zu bieten, auf der er die Rede vom angeblich politischen Urteil und der Hetzjagd gegen ihn wiederholen kann. Klar, es geht für die Medien um Quoten und Aufmerksamkeit, aber es geht auch um öffentlich-demokratische Debattenkultur, der Kurz und Co bereits übel genug mitgespielt haben.

Ein Trauerspiel

Wenig überraschend agierte Kurz genau in diesem üblen Sinne. Er steigerte sich in eine verbale Rauferei mit dem Moderator hinein, betrieb eine peinliche Exegese des U-Ausschuss-Protokolls, das Bild des gescheiterten Handschlags mit Wolfs zu den Worten »Wetten wir, dass es falsch ist« wird in Erinnerung bleiben. Kurzum, der Auftritt war so ein Trauerspiel, dass er vielleicht eines Tages als Kurz’ entscheidender Schuss ins Knie gelten wird. Doch wie gesagt, Kurz ist keiner, der lockerlässt – und unbestritten ist, dass er selbst jetzt noch auf zahlreiche Gefolgsleute bauen kann. Nach dieser Tour vom Gerichtssaal in die Fernsehstudios wird die nächste größere spätestens dann stattfinden, wenn der Fall in die nächste Instanz geht. Und dann wird sich wieder die Frage stellen, ob alle Kameras auf Kurz gerichtet sein müssen oder ob man mit den Bildern vom Dienstag nicht genug gesehen hat.

Sebastian Kurz glaubte Armin Wolf nicht, dass die vom Moderator verlesenen Zitate aus dem U-Ausschuss tatsächlich so im Protokoll stehen: »Herr Wolf, wetten wir, dass es falsch ist?« (Foto: Screenshot orf.at)
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