Februar 1934,
aktualisiert

von David Mayer

Wiener Tagebuch, Nr. 2, Februar 1974


484 wörter
~2 minuten

Der Februar 1934 als zentraler Erinnerungspunkt der jüngeren Vergangenheit in Österreich, insbesondere aber der Geschichte der Arbeiterbewegung und der Linken, kam, wenig überraschend, auch im Wiener Tagebuch immer wieder zur Sprache. Zum 40. Jahrestag Anfang 1974 umriss eine mit »M.« gezeichnete Notiz – möglicherweise stand hinter dem Kürzel Josef Meisel (1911–1993), Widerstandskämpfer, bis 1970 KPÖ-Politiker, dann Teil des Kreises um das Wiener Tagebuch – eine Position scharfer Kritik und fortgesetzter Aktualität: Die Rolle der sozialdemokratischen Führung im Februar 1934 war eine unrühmliche; der Opfermut der Kämpfer und Kämpferinnen ein heldenhafter und von der Sozialismusidee getragener; nach 1945 gab es eine Politik des Vergessens; die Gefahr einer faschistischen Entwicklung ist nicht dauerhaft gebannt. Interessant ist dabei der Verweis auf den Putsch gegen den Sozialisten Allende in Chile eineinhalb Jahre zuvor. Insgesamt spiegelt der Kommentar wider, dass die SPÖ den 12. Februar als einen für ihre eigene Geschichte so wichtigen Erinnerungstag bis dahin nur zaghaft kultiviert hatte – was sich in den Jahren danach ändern und rund um den 50. Jahrestag 1984 in der legendären Ausstellung »Die Kälte des Februar« kulminieren sollte.

M.

12. Februar 1934 – 12. Februar 1974

Die SPÖ hat ihren diesjährigen Parteitag für den 12. Februar anberaumt, offensichtlich zur Würdigung des 40. Jahrestages jener Februarkämpfe, die objektiv eine Abwehrschlacht gegen den Faschismus und zur Verteidigung der sozialen und demokratischen Errungenschaften darstellten, sich in den Köpfen der Februar-Kämpfer jedoch mit Vorstellungen einer entscheidenden Auseinandersetzung für die sozialistische Idee verflochten. Der größte und tragischste Heldenmythos in der Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung ist nun keinesfalls, obwohl die meisten der Helden der Sozialdemokratischen Partei angehörten, ein Ruhmesblatt in der Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie. Sie hat diesen Kampf weder gewollt noch geführt, durch ständiges Zurückweichen ihrer [sic!] Anhänger von Tag zu Tag geschwächt, und als die Stunde der totalen Konfrontation schlug, fand sich in der Führung der Partei kein Allende, der sein Schicksal mit dem der Kämpfenden identifizierte.

[...]

In der Zweiten Republik ist alles getan worden, um die Erinnerung an die Februar-Kämpfer im Sumpf der Koalitionsregierung und im Trumpf der Sozialpartnerschaft zu ertränken. [...] Die Briefmarke, auf der der Karl-Marx-Hof, die symbolische Stätte der Februarkämpfe, abgebildet ist, trägt schamhaft die Überschrift: Wien-Heiligenstadt. An Jahrestagen gibt es die rituellen Kranzniederlegungen und die selbstzufriedene Versicherung, daß es nie wieder zu Bürgerkriegen, zu Konflikten mit der Kirche usw. kommen darf. Und doch gibt es durch die Entwicklung aktualisierte Probleme, die einer gründlichen Überlegung wert wären. Fehlt es denn an Beispielen, daß die Worte des deutschen Philosophen Horckheimer [sic!] nach wie vor gelten: Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll über den Faschismus schweigen? Wirtschaftliche Schwierigkeiten, unsichere Perspektiven und erst recht Gefährdung der Profite verstärken die Tendenzen zur Bildung reaktionär-autoritärer Regimes [...]. Und eine Arbeiterschaft, die daran gewöhnt wird, von allen Entscheidungen ausgeschaltet zu werden, [...] wird faktisch entwaffnet, entideologisiert und entpolitisiert [...].
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