Lasst sie leuchten!

von Iuditha Balint

KRITIK & ZÄRTLICHKEIT #3 | Darf jemand für jemand anderen sprechen, wenn dieser für sich sprechen könnte?

Dass die, die sich da auf die Geste von Kritik beziehen, eigentlich nicht wissen, was sie tun, wenn sie zum Beispiel ›für‹ die anderen sprechen. Die anderen brauchen vielleicht niemanden, der für sie redet. Es wird immer vor allem so getan, als hätten die keine Sprache, und dann kommt die Repräsentation ins Spiel. Die haben aber eine Sprache, die ist nur nicht (…) Mittelstand und wird als die geeignetere immer verleugnet.«

Der Dramatiker und Regisseur René Pollesch, der viel über Arbeit, Ökonomie und Randpositionen nachgedacht hat, dieser große Pollesch, der nichts mehr schreiben wird, fasst in diesen Zeilen die Krux an der Fürsprache pointiert zusammen. Kann, darf jemand für jemand anderen sprechen, wenn dieser für sich sprechen könnte? Eine Frage, die die Arbeiter:innen-Literatur wie kaum eine andere tangiert.

Arbeiter:innen-Literatur entsteht, weil bürgerliche Schriftsteller um 1850 soziale Missstände reflektieren und damit für die Sicht- und Hörbarkeit von Subalternen sorgen. Georg Weerth, Ferdinand Freiligrath, Heinrich Heine. Gelesen von einem bürgerlichen Publikum, das darüber befindet, ob so Empathie entsteht, ob also die Fürsprache gelingt. Irgendwann schreiben die Arbeiter:innen selbst. Und sie zeigen etwas Wichtiges – dass Fürsprache eines definitiv nicht ist: Repräsentation. Sie ist Mit-Sprache. Sie ist eine Verstärkung der Stimme derer, die leiser sind und nicht gehört werden. Sie ist gemeinsames Sprechen, chorisches, polyphones Erzählen. Sie ist das, was passiert, wenn das Subjekt der Fürsprache, der sogenannte kleine Mann, die Wäscherin, das Prekariat in ihrer Souveränität gesehen wird. Das passiert auch, wenn Arbeiter:innen selbst schreiben oder in die Schreib- und Repräsentationsprozesse eingebunden werden, wenn ihre Erzählstimmen und Figuren stark und klar sind, wenn diese in ihrer Gebrochenheit und Verletzlichkeit eine unübersehbare, unwiderlegbare Präsenz entwickeln, wenn sie gemeinsam in eigener Sache sprechen. Wann sie gelingt, die Fürsprache? Es kommt auf die Ästhetik an. Die muss dem Mittelstand gefallen. Aber das geht auch ohne Verluste, aus der Zwischenposition. Man lese Daniela Dröscher, Marlen Hobrack und Dinçer Güçyeter. Bei ihnen leuchten sie hell, die Subalternen. Und agieren. Wie bei Pollesch auch.

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