Mehr oder weniger Einfluss

von Jannik Eder

NACHDRUCK #9 | Bei dem, was die Bauern in den vergangenen Monaten aufgeführt haben, wäre bei anderen ein Polizei-Sonderkommando ins Schlafzimmer gekracht.


433 wörter
~2 minuten

Auf der Rückseite eines jeden TAGEBUCH, der sogenannten U4, findet sich bekanntlich eine Anzeige einer Initiative, die von der Redaktion als unterstützenswert erachtet wird. In der letzten Ausgabe ging der Platz an die Letzte Generation, genauer gesagt wurde er deren Spendenaufruf eingeräumt, nachdem die Gruppe bzw. deren Mitglieder aufgrund von Verwaltungsstrafen und Prozesskosten seit geraumer Zeit unter finanziellem Druck stehen.

Den Aufruf der Letzten Generation zu bringen lag auch deshalb nahe, weil die Staatsanwaltschaft Wien kurz zuvor Ermittlungen wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung aufgenommen hatte. Vor solcherart Repression braucht sich eine andere zivilgesellschaftliche Protestbewegung nicht fürchten: die Bauern, oder wie es bei den Öffentlichen-Rechtlichen höflich heißt: die Landwirtinnen und Landwirte. Eine Diskussion über verfehlte Landwirtschaftspolitik und Anforderungen an Agrarbetriebe beiseite, es sei an dieser Stelle konstatiert, dass die Bauern in den vergangenen Monaten Dinge aufgeführt haben, da wäre bei anderen ein Polizei-Sonderkommando ins Schlafzimmer gekracht. Nach Österreich haben es die Bauernproteste nicht geschafft, Mitte Jänner fuhr eine Handvoll Traktoren über den Heldenplatz, das war’s.

Mittlerweile sind die Bauernproteste abgeflaut, und auch die Klimaaktivistinnen und -aktivisten gehen seltener auf die Straße. In Deutschland verkündete die Letzte Generation sogar, auf Klebeaktionen zu verzichten. Stattdessen will man unter dem Namen »Parlament aufmischen – Stimme der Letzten Generation« als eine sogenannte sonstige politische Vereinigung zur Europawahl antreten; man würde also nicht als Partei und auch nicht unter dem Dach einer Fraktion im EU-Parlament agieren. Für einen Parlamentssitz bräuchte es etwa 250.000 Stimmen. Bei Redaktionsschluss prüfte der Bundeswahlausschuss die Zulassung zur Wahl. Der Trend, die Europawahl als Schritt vom Aktivismus zum Parlamentarismus zu nutzen, zeigt sich auch hierzulande. Die von den »Lobau bleibt«-Protesten bekannte Lena Schilling hält sich aber nicht mit Fragen zu Zulassung und genügend Stimmen auf, sondern tritt als Spitzenkandidatin der Grünen zur Europawahl an (siehe Interview).

Wie diese neuen Protagonistinnen und Protagonisten des Engagements fürs Klima auf mehr Einfluss in der EU hinzuarbeiten, das haben die Bauern nicht nötig. Einfluss haben sie seit jeher, nicht zuletzt dank der Agrarlobby. Diese sorgt im Bunde mit der konservativen EVP-Fraktion etwa dafür, dass ein Drittel des gesamten EU-Etats in die Landwirtschaft fließt. Kurz vor den Bauernprotesten wurde in Straßburg noch ein Gesetzesvorhaben gekippt, das darauf abzielte, weniger chemische Pflanzenschutzmittel einzusetzen. Mitte März hat die EU-Kommission nun einen Vorschlag zur Änderung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) vorgelegt. Unter dem Schlagwort »Bürokratieabbau« sollen Umweltstandards aufgehoben werden – weil sie für die Bauern unmöglich einzuhalten seien.

Lob, Kritik, Anregungen:
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