Von Judith Butler haben wir gelernt, dass Worte performative Wirkung zeitigen können. Unter bestimmten Umständen tun sie selbst, was sie bloß zu beschreiben vorgeben. Nenne ich eine Organisation »Widerstandsbewegung«, trage ich dazu bei, sie zu einer zu machen, insofern ich das ganze Register an Kämpfen gegen Unrecht und Unterdrückung aufrufe. Beschreibe ich sie hingegen als Terrorgruppe, spreche ich ihr zugleich ab, ein legitimer politischer Akteur zu sein. Butler wird auch nach dem 7. Oktober nicht müde, die islamistische Hamas als »Widerstandsbewegung« zu beschreiben. Sie lehnt zwar das Massaker selbst ab, möchte es aber nur unter der Frage diskutiert wissen, ob es die richtige Strategie war. Zur gleichen Zeit kämpfen die weiblichen Opfer der Terrorattacke um die Anerkennung der sexualisierten Gewalt, die an ihnen ausgeübt wurde. Erstaunlich eigentlich, wie wenig der Verrat Butlers an feministischen Idealen, der in ihrer lapidaren Äußerung steckt, in der Linken diskutiert wurde.
Der Öko-Aktivist und vielgepriesene linke Autor Andreas Malm hatte vielleicht immer schon eine fragwürdige Haltung zur Gewalt. Aber den Terroranschlag der Hamas als »heroisch« zu bezeichnen und als berechtigten Ausbruch aus einem »Konzentrationslager« (womit er den Gazastreifen meint) zu beschreiben, ist doch noch einmal eine besonders ungute Positionierung. Auch er hat überhaupt kein Problem, eine autoritäre Clique, die den Dschihad und die Auslöschung Israels predigt, zu feiern. Und dafür historische Vergleiche anzustrengen, die jenseits aller vernünftigen Diskussion liegen. Dabei ist es fast schon egal, ob das nun antisemitisch ist oder nicht.
Der dekolonialistische Theoretiker Ramón Grosfoguel schwadronierte unterdessen von der »Achse des Widerstands«, die von Jemen, Gaza und dem Libanon aus Israel attackieren soll. Nachzulesen ist das auf der Homepage der Islamic Human Rights Commission mit Sitz in London, die auch Bücher des ehemaligen iranischen Diktators Ajatollah Khomeini vertreibt. Desselben Khomeinis wohlgemerkt, der nicht nur Israel vernichten wollte, sondern auch tausende Linke ermorden ließ.
Distanzierung wird verweigert
Die Weigerung, sich vom Islamismus zu distanzieren oder sich überhaupt mit ihm auseinanderzusetzen, wie sie Butler, Malm und Grosfoguel vorexerzieren, ist frustrierend. Was die drei Beispiele auch zeigen, ist, wie Teile der globalen Linken die Rolle, die die Shoah bei der Staatsgründung Israels gespielt hat, ausblenden oder leugnen. So wird Israel bisweilen nicht als Schutzort für die Jüdinnen und Juden weltweit, sondern nur mehr als Paradebeispiel für eine »Kolonialmacht«, als »Avantgarde der westlichen, imperialistischen, weißen Welt« gesehen, wie die dekolonialistische Theoretikerin Françoise Vergès es auf den Punkt bringt. Wer auf beides heute hinweist, formuliert für viele nicht mehr eine linke Selbstverständlichkeit, sondern gilt mittlerweile schnell als Vertreter:in deutscher Staatsräson.
Dass die USA und viele rechte Regierungen weltweit Israels Krieg unterstützen, wird von diesen Linken als Stütze für ihre Position gesehen, als Zeichen dafür, auf der richtigen Seite zu stehen. Dass die eigenen, propalästinensischen Positionierungen von nicht weniger umstrittenen Akteur:innen geteilt werden, wird nicht problematisiert: Auch Recep Tayyip Erdoğan nennt die Hamas eine »Widerstandsbewegung«.
Darüber hinaus wird nicht in Rechnung gestellt, dass die Verteidigung des Existenzrechts Israels nicht gleichzusetzen ist mit der bedingungslosen Unterstützung der Regierung Netanjahus und ihrer rechtsextremen Minister. Auch wenn die israelische Militäroffensive von der Hamas provoziert wurde, rechtfertigt nichts die vielen zivilen Opfer in oder gar die Blockade von Hilfslieferungen nach Gaza. Die Debatte sollte die Kriegslogik nicht übernehmen, in der es nichts außer Freund und Feind gibt und Differenzierungen nicht zugelassen werden.
Antiimperialistische Schablonen
Es ist viel über Worte und ihre vermeintliche oder tatsächliche antisemitische Bedeutung geschrieben worden. Oft wird dabei außer Acht gelassen, dass die Bedeutung bestimmter Zeichen erst in ihrem Gebrauch entsteht. Ein nach unten ausgerichtetes rotes Dreieck kann Teil eines Bauklötze-Sets für Kinder ab zwei Jahren sein, es kann aber auch als Ausschnitt der palästinensischen Fahne interpretiert werden. Oder als Markierung der Anschlagziele der Hamas. Wird es während eines Protestcamps gegen den Krieg Israels an Wände gesprüht, ist höchstwahrscheinlich nicht Montessori und kindliche Kreativität gemeint.
Auch der Slogan »From the river to the sea, Palestine must be free« ist nicht an sich antisemitisch. Es gibt Leute, die damit auf eine freie, multiethnische Gesellschaft hinauswollen. Vielleicht ist das bei vielen Campus-Protesten eine dominante Lesart. Das Motto kann aber auch als Infragestellung des Existenzrechts Israels gelesen werden, das in ihm schließlich gar nicht vorkommt.
Die brutale Attacke auf feiernde Jugendliche als »Widerstand« zu bezeichnen funktioniert nur, indem antiimperialistische und dekolonialistische Schablonen auf die Situation in Israel/Palästina gepresst werden, die historisch vorne und hinten nicht passen und die auch hinsichtlich der aktuellen politischen Situation äußerst fragwürdig sind: das gute Volk gegen das böse Imperium, die indigene Bevölkerung gegen die Kolonialmacht. Die Unbedarftheit vieler Antiimperialist:innen gegenüber dem Islamismus ist real. Wie diese Linken die menschverachtende Ideologie der Gotteskrieger mit ihrem eigenen Weltbild, das im Prinzip auf globale Gerechtigkeit ausgerichtet sein sollte, in Einklang bringen, bleibt ihr Geheimnis.
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