Narendra Modi, hier vor alpenähnlicher Kulisse, wurde in Wien recht herzlich empfangen. (F.: Pixabay/Sibi108)

Modi in Wien: Roter Teppich für autoritären Herrscher

von Philipp Sperner

Dass sich »die größte Demokratie der Welt« unter ihm faschisiert hat, war beim Besuch des indischen Premiers Narendra Modi in Österreich kein Thema.


790 wörter
~4 minuten

Im September 2023 war die indische Schriftstellerin und Booker-Preisträgerin Arundhati Roy zu Gast in Lausanne, um den Europäischen Essay-Preis der Charles-Veillon-Stiftung für ihr schriftstellerisches Lebenswerk entgegenzunehmen. Roy, die hierzulande vor allem für ihren 1997 erschienen Roman Der Gott der kleinen Dinge bekannt ist, gilt in Indien als eine der schärfsten Kritikerinnen von Premierminister Narendra Modi und seiner hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP). In einem vor wenigen Wochen neu aufgerollten Gerichtsverfahren droht ihr deswegen nun sogar eine Haftstrafe. Zahlreiche weitere kritische Stimmen befinden sich bereits im Gefängnis. Einige von ihnen warten seit Jahren auf ihr Gerichtsverfahren.

In ihren Essays und Reportagen zeichnet Roy unermüdlich nach, wie der in Indien als Aufstieg gefeierte Transformationsprozess unter Modi nicht nur mit der drastischen Einschränkung der Pressefreiheit und der Demontage einer unabhängigen Gerichtsbarkeit, sondern auch mit der immer gewaltvolleren Verfolgung und Unterdrückung der muslimischen Bevölkerung und weiterer Minderheiten einhergeht. Trotz des Abbaus demokratischer Rechte hat Modi dabei einen großen Teil der Bevölkerung auf seiner Seite. Um die Tragweite dessen zu verdeutlichen, greift Roy auf drastische Vergleiche zurück. So meinte sie in Lausanne: »Was in Indien geschieht, hat nichts mit einer lockeren Variante des Internetfaschismus zu tun. Es ist ernst. Wir sind zu Nazis geworden. Nicht nur unsere Anführer, nicht nur unsere Fernsehkanäle und Zeitungen, sondern auch weite Teile der Gesellschaft.«

Ähnlichkeiten zu Putins Russland

Mit ihrer Beschreibung von Modis Politik als explizit faschistisch steht Roy keineswegs allein da. Der in Yale lehrende Philosoph und Faschismustheoretiker Jason Stanley schrieb, ebenfalls im September 2023, in einem im britischen Guardian veröffentlichten Artikel mit Blick auf Indien, alle Anzeichen von Faschismus seien deutlich erkennbar. Als einen Beleg dafür erachtet er unter anderem staatliche Eingriffe in Geschichtsbücher und Unterrichtspläne, die Ähnlichkeiten zu Putins Vorgehen in Russland aufweisen. Internationale Menschenrechtsgruppen kritisieren zudem seit Jahren Indiens Umgang mit Minderheiten und warnen sogar vor der Gefahr eines Genozids.

Roy ging es in ihrer Dankesrede aber nicht nur darum, die europäische Öffentlichkeit möglichst eindrücklich über die Auswirkungen des Hindu-Nationalismus in Indien aufzuklären. Die Schriftstellerin zeigte auch auf, dass Indiens Weg in den Faschismus zu einem nicht unerheblichen Teil über die vielen roten Teppiche führt, die für Modi auf Staatsempfängen in der ganzen Welt und aktuell auch in Österreich ausgerollt werden. Die anhaltende Begeisterung für Modi in Indien beruht vor allem auf zwei Faktoren, für die der Westen zu großen Teilen mitverantwortlich ist. Das ist zum einen der wirtschaftliche Aufschwung des Landes, der Modi vor allem in der indischen Mittelklasse äußerst beliebt macht, der ärmeren Bevölkerung allerdings kaum zugutekommt. Zum anderen gelingt es Modi, sich als global einflussreichen Staatsmann darzustellen, der Indien zu seiner wahren geopolitischen Größe führen konnte.

Zu Gast bei Freunden

Beide Faktoren sind auch für Modis Besuch in Österreich zentral. Die Wirtschaftskammer »setzt große Hoffnungen auf Indien« und spricht begeistert von der am stärksten wachsenden Volkswirtschaft unter den G20-Staaten. Darüber, dass trotz dieses Wachstums die Ungleichheit in Indien massiv zugenommen hat und laut einer aktuellen Studie nun sogar stärker ausgeprägt ist, als sie es unter britischer Kolonialherrschaft war, schweigt sie jedoch. Mindestens ebenso wichtig wie die Wirtschaftsbeziehungen dürfte für Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) aktuell allerdings der erhoffte politische Einfluss Indiens sein, wenn es um globale Beziehungen und insbesondere den Ukraine-Konflikt geht. Wohl auch deshalb betonte Nehammer auf X Modis Bedeutung als »Premierminister der größten Demokratie der Welt«. Der auf Englisch verfasste Post richtete sich vor allem an ein indisches Publikum und wurde von Modi-Fans auch äußerst wohlwollend aufgenommen.

Dass von den demokratischen Institutionen und Grundrechten in der größten Demokratie der Welt bald nichts mehr übrig sein könnte, scheint für Nehammer hingegen ebenso unwichtig zu sein wie für seine Kollegen in Berlin, London, Paris oder Washington. Zu Recht wies Roy in ihrer Rede darauf hin, dass den westlichen Regierungschefs, die Modi so bereitwillig die roten Teppiche ausrollen, die zutiefst beunruhigenden Entwicklungen in Indien bekannt sind. Dass sie Modi dennoch weiterhin als verlässlichen Partner preisen, beschrieb Roy mit klaren, nur schwer von der Hand zu weisenden Worten: »Für mich ist das eine Form von Rassismus. Sie behaupten, Demokraten zu sein, aber sie sind Rassisten. Sie glauben nicht, dass die Werte, zu denen sie sich bekennen, auch für nichtweiße Länder gelten sollen.«

In der Berichterstattung österreichischer Medien über Modis Besuch in Wien war über die faschistoiden Tendenzen Indiens bemerkenswert wenig zu lesen. Kann es sein, dass auch hier mit zweierlei Maß gemessen wird und das Schicksal all jener, die unter Modis Regierung um ihr Leben fürchten müssen, einfach nicht wichtig genug ist?

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