Kompromisslos fürs Gewinnen

von Lena Wachweger

Die meisten Kämpfe in ihrem Leben hat die Organizing-Pionierin Jane McAlevey für sich entschieden, nur ihr letzter, der gegen den Krebs, war von Anfang an nicht zu gewinnen.

Jane McAlevey wusste, dass Arbeiter:innen den Glauben und das Wissen um ihre eigene Macht deswegen verloren haben, weil sie aufgehört haben, zu gewinnen. Folglich hat es sie es sich selbst zur Lebensaufgabe gemacht, ihnen jene Mittel an die Hand zu geben, die es braucht, um erfolgreiche Kämpfe zu führen. McAlevey tat dies in erster Linie als aktive Gewerkschafterin, als sogenannte Organizerin. Seit den 1990er-Jahren begleitete sie Arbeiter:innen in Kampagnen, zunächst im Rahmen des nordamerikanischen Gewerkschaftsdachverbands AFL-CIO. Ab 2002 leitete sie Organizing-Kampagnen der Dienstleistungsgewerkschaft SEIU, vor allem im Gesundheitssektor. In insgesamt vier Büchern (Raising Expectations and Raising Hell, 2012; No Shortcuts, 2016; A Collective Bargain, 2020 und zuletzt Rules to Win By, 2023) hat sie ihre Erfahrungen und ihre Analysen der Gewerkschaftsbewegung festgehalten. In ihrer Rolle als Korrespondentin für The Nation oder das Jacobin-Magazin beschrieb und kommentierte McAlevey den Zustand der Gewerkschaftsbewegung, ging dabei scharf und präzise vor, wie mit einem Skalpell.

Für mich und unzählige Gewerkschafter:innen weltweit war sie Mentorin, Beraterin und Lehrerin. Jane McAlevey hatte enormen Einfluss auf Arbeiter:innen und Organizer:innen weltweit, vor allem durch den »Organizing for Power«-Kurs, der seit 2019 von der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisiert und weltweit angeboten wird. Mehr als 40.000 Menschen aus über 110 Ländern wurden dadurch in ihren Methoden ausgebildet, mehrere Tausend allein aus dem deutschsprachigen Raum. Es ist schwer zu sagen, was zuerst kam: die Organizing-Euphorie oder die Rezeption von McAleveys Ansatz. Wohl hat das eine das andere beflügelt, und auch eine kritische Auseinandersetzung mit McAlevey konnte dazu beitragen, dass zumindest die Diskussion über Organizing-Methoden in vielen Kreisen belebt wurde.

Für Jane McAlevey war Organizing kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, um zu gewinnen. Was aber heißt es für Arbeiter:innen überhaupt, zu gewinnen? Gewinnen bedeutet nicht, dass die Kolleg:innen in einem Betrieb viel darüber gelernt haben, wie man kämpft. Oder dass sie für die nächste Kampagne schlauer geworden sind. Dass Arbeiter:innen mit erhobenem Haupt und schwenkenden Fahnen eine Niederlage akzeptieren und das Bewusstsein für den Interessengegensatz zwischen Arbeit und Kapital gestärkt wurde. All das sind wichtige Aspekte, aber sie machen nicht den Unterschied zwischen Sieg oder Niederlage aus. Gewinnen nach Jane McAlevey heißt, Verbesserungen zu erkämpfen, die Leben verändern. Gewinnen heißt, dass Arbeiter:innen erfahren, welche Macht sie haben, wenn sie sich organisieren.

McAleveys Verständnis von Organizing hatte nichts Feststehendes, Dogmatisches. Ihr Ansatz beruhte zwar auf fixen Grundsätzen. Was sich daraus ergeben kann, soll und muss jedoch je nach Kontext entwickelt werden. Erstens: Es wird eine bestehende Struktur organisiert, keine Gruppe, die sich selbst auserwählt hat, zum Beispiel weil sie zu einer Demonstration kommt. Mit bestehenden Strukturen sind Menschen gemeint, die von vornherein in einem gemeinsamen sozialen Zusammenhang stehen, zum Beispiel durch den Arbeitsplatz, das Wohngebiet, die Schule oder die Universität. Zweitens: Das Ziel ist es, alle Menschen in dieser Struktur partizipieren zu lassen und so Mehrheiten aufzubauen. Macht entsteht, indem sich die Mehrheit einer bestehenden Struktur für ihre Anliegen zusammenschließt. Drittens: Bereits bestehende soziale Zusammenhänge bilden Strukturen, um sich zu verteidigen, zum Beispiel gegen die Arbeitgeber:innen. Aus diesen Strukturen erwachsen immer organische Führungspersonen, die es zu rekrutieren gilt. Viertens: Die Arbeiter:innen brauchen ein genaues Verständnis ihres politischen Umfelds, eine sogenannte Machtstrukturanalyse, um zu verstehen, wen sie bewegen müssen, um zu gewinnen. Letzteres geschieht, indem Arbeiter:innen ihre eigenen Netzwerke aktivieren und nicht über Bündnisse der Gewerkschaften. Und fünftens, als Essenz der vorherigen Punkte: Organizing ist etwas anderes als Mobilizing. Organizer:innen organisieren die, die nicht mit ihnen reden wollen, und nicht diejenigen, die bereits unserer Meinung sind. Im Gegensatz dazu mobilisieren Aktivist:innen diejenigen, die ohnehin schon überzeugt sind.

Aus diesen Grundsätzen leitete Jane McAlevey unterschiedliche Methoden ab. Aus dem Prinzip der hohen Partizipation der gesamten Struktur ergibt sich so das Mittel des sogenannten Strukturtests. Ein Strukturtest kann eine Petition sein, das Tragen eines Pins, jede Aktivität, bei der jede einzelne Person im Betrieb aktiv aufgefordert wird, teilzunehmen. Wer sich große und kleine Auseinandersetzungen um Tarifverträge in den vergangenen Jahren in Deutschland ansieht, sieht solche Strukturtests überall: Mehrheitspetitionen, Fotoaktionen, Streikbereitschaftsabfragen. Während einige dieser Kampagnen, etwa die Krankenhausbewegungen für mehr Personal und Entlastung, sich klar McAleveys Grundsätzen verschreiben und versuchen, diese umzusetzen, gibt es unzählige andere Kampagnen und Auseinandersetzungen, die sich hier und da der Methoden bedienen, aber noch weit davon entfernt sind, Mehrheiten aufzubauen. »Everyone says they’re organizing but what they’re are actually doing is mobilizing«, höre ich McAlevey über die US-Gewerkschaften fluchen. Das trifft mittlerweile auch auf viele Projekte im deutschsprachigen Raum zu. 

Jane McAlevey ging es dabei nie darum, Mobilisierungsarbeit abzuwerten oder eine künstliche Trennung herzustellen. Aber sie hat stets mit großer Unerbittlichkeit ihre Grundsätze gegen alles verteidigt, was sie hätte verwässern können. Organizing-Methoden waren für sie eben kein Werkzeugkasten, aus dem man sich heute das eine und morgen das andere aussuchen kann. Wer mit ihr zusammenarbeiten durfte, weiß, wie knallhart und erbarmungslos sie einen zurechtweisen konnte, wenn man gerade selbst in Versuchung geriet, den »Shortcut«, den vermeintlich einfachen Weg statt des richtigen, zu gehen.

Als Mensch war Jane McAlevey alles andere als kalt. Sie war herzlich, fröhlich und konnte innerhalb weniger Sekunden einen ganzen Raum begeistern. Ihre Energie war ansteckend, genauso wie ihr unbändiger Glaube an das Können, das Wissen und die Stärke einer vereinten Arbeiterschaft. Dadurch hat Jane McAlevey unzähligen Arbeiter:innen, Organizer:innen und auch mir wieder Hoffnung gegeben.

Nachdem sie bereits eine frühere Krebserkrankung besiegt hatte, erkrankte McAlevey im Herbst 2021 erneut. Im vergangenen April zog sie sich aus der Öffentlichkeit zurück. Schon damals stand zu befürchten, dass wir die Nummer, die unter »Call me if you wanna win« steht, bald nicht mehr wählen können. Am 7. Juli ist Jane McAlevey im Alter von nur 59 Jahren in Kalifornien verstorben.

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