Dass das TAGEBUCH seit heuer nicht mehr zehnmal im Jahr, sondern zweimonatlich erscheint, bringt zwangsläufig eine inhaltliche Neuausrichtung mit sich; nicht bei den Themen, aber bei der Art, wie über sie berichtet wird. Zumal dieser Erscheinungsturnus einen noch stärkeren Fokus auf längerfristige Prozesse ermöglicht. Als Freund:innen journalistischer Langstrecken, im Gedächtnis bleibender Interviews und nicht aus dem Affekt geborener, sondern aus intensiven Beobachtungen heraus entstandener Kommentare kommt uns als Redaktion dieser Rhythmus entgegen; und auch unsere Leser:innen teilen diese Präferenz in großer Mehrheit.
Daraus resultiert auch, dass die tagesaktuelle Politik in diesem – nennen wir es mal: volatilen – Wahljahr oft die abenteuerlichsten Wenden einschlägt, während wir noch darüber sprechen, welche Berichterstattung angemessen ist. Das allerdings wäre kaum anders, erschiene das TAGEBUCH noch immer monatlich statt zweimonatlich. Nur um ein Beispiel zu nennen: Wissen Sie noch, Trumps Ohr? Als am 13. Juli in Butler, Pennsylvania, Schüsse fielen und Donald Trump, am Ohr getroffen, die rechte Faust in die Höhe reckte, im Hintergrund blauer Himmel und eine wehende US-Flagge, wurde die ganze Szene auf ein Foto gebannt. Nicht nur die Titelbilder internationaler Zeitungen schienen danach entschieden, sondern auch der US-Wahlkampf. Zumindest zahlreiche weniger kühle Köpfe suggerierten das. Nils Markwardt, Onlineredakteur der Zeit, schrieb hingegen nüchtern und luzid auf seinem Bluesky-Profil: »Dass das Trump-Bild ›historisch‹ ist, lässt sich kaum bezweifeln. Aber wie apodiktisch daraus nun bisweilen sogar Wahlergebnisse abgeleitet werden, ist schon eigentümlich. Vielleicht glauben gerade Medienschaffende auch ein bisschen zu sehr an Medien.«
Als die letzte TAGEBUCH-Nummer in Produktion ging, war der Wahlkampf in den USA noch ein Wettstreit zwischen Joe Biden und Donald Trump. Und so war es also auch, als Benjamin Opratko das Editorial der Ausgabe verfasste, in dem er das mediale Echo nach den Schüssen auf Trump in den Blick nahm, welches wiederum Markwardts These bestätigte: dass die Rückschlüsse vieler Medien, wie sehr das Bild des »Survivors« Trump die Stoßrichtung des Wahlkampfs zu dessen Gunsten ausrichten würde, vor allem eigentümlich waren.
Als Prognose jedoch unbrauchbar: Längst wurden wir wieder eingeholt von allerhand Ereignissen. Es scheint kaum mehr vorstellbar, dass Biden vor kurzem noch kandidiert haben soll, so fest sitzt Kamala Harris mittlerweile im Sattel. Als dieser Text entsteht, geht gerade die Nachricht durch die Presse, dass unmittelbar nach der TV-Debatte der US-Präsidentschaftskandidat:innen Taylor Swift verkündet hat, ihre Stimme gehöre Kamala Harris. Ist ein Harris-Sieg damit in trockenen Tüchern? Sicher nicht. Nicht zuletzt deshalb geht es auch in dieser Ausgabe wieder darum, eine langfristige Perspektive einzunehmen – eine, die auch über den Wahlkampf hinaus Bestand hat.
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