Wie schon letztes Jahr an dieser Stelle kommt mit dem Dezember eine Auslese: Welche Artikel interessierten das TAGEBUCH-Publikum am meisten? Basierend auf den Web-Zugriffszahlen ergibt sich folgendes Ranking:
Platz drei: »Eindimensionale Solidarität« von Hanno Hauenstein (Februar/März-Ausgabe). Hauenstein beschreibt das Echo des Nahostkonflikts in der deutschsprachigen Kulturszene und kritisiert die zahlreichen Absagen von Veranstaltungen zum Thema Israel/Palästina; solch ein Vorgehen werfe ernste Fragen zur Meinungs- und Kunstfreiheit sowie zur Selbstzensur der Kulturschaffenden auf. Ein Dreivierteljahr später überrascht wenig, dass die Fronten zwischen den Akteuren verhärteter denn je sind.
Platz zwei: »Ein proletarisches Psychotrauma« von Robert Rotifer (April/Mai-Ausgabe). Rotifer war auch im Vorjahr unter den Top 3, mit einem persönlichen Text zur Causa Fabian Wolff. In dieser Geschichte erinnert er an die britischen Minenarbeiterstreiks 1984/1985. Bemerkenswert ist nicht nur die Verbindung von individuellen und historischen Perspektiven, sondern auch, wie empathisch der Autor seinem Protagonisten, einem ehemaligen Minenarbeiter, begegnet – mögen dessen heutige Ansichten (Brexit etc.) auch noch so weit von Rotifers entfernt sein.
Platz eins: »Die Rückkehr des Faschismus« von Benjamin Opratko (Dezember/Jänner-Ausgabe). In der Titelgeschichte der ersten Ausgabe dieses Jahrgangs stellte sich der TAGEBUCH-Redakteur die Frage, ob der Faschismus heute nicht bloß ein Kampfbegriff ist, sondern eine reale Kraft zu werden droht. Die Analyse glänzt sowohl durch historische Tiefe als auch bitteren Gegenwartsbezug – und ist damit eine wichtige Lektüre, um aktuelle politische Tendenzen zu verstehen und Begriffe zu schärfen.
Neben der Verknüpfung der Vergangenheit mit dem Hier und Jetzt haben alle drei Texte gemeinsam, dass sie die Lesenden dazu ermutigen, über die dargestellten Themen nachzudenken und sich mit den zugegebenermaßen herausfordernden Debatten auseinanderzusetzen. Somit entsprechen sie dem grundsätzlichen publizistischen Anliegen des TAGEBUCH. Dass eine Warnung vor dem Erstarken faschistischer Kräfte auf das größte Interesse stieß, ist leider bezeichnend für die Lage der Welt und dafür, wie Linke sie wahrnehmen.
Übrigens, in einem Workshop mit anderen Medienschaffenden kürzlich dazu befragt, was das Verbindende der TAGEBUCH-»Zielgruppe« sei, lag mir als Antwort auf der Zunge: die Sorge vor der Rückkehr des Faschismus. Das habe ich dann zwar nicht so gesagt, es scheint aber jetzt erwiesen zu sein.
Ansonsten lässt sich der letzte Absatz dieser Erhebung ähnlich formulieren wie 2023: Die Top-3-Artikel stammen allesamt von Männern; die Überrepräsentation ist nicht nur auf diese Texte beschränkt, sondern gilt für alle TAGEBUCH-Ausgaben. Männer verfassten etwa zwei Drittel (65 Prozent) der Beiträge, in nur 34 Prozent schrieben Frauen (Rest: gemischte Autorenschaft).
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