Foucault entzaubern

von Gabriele Heller

419 wörter
~2 minuten
Foucault entzaubern
Meinhard Creydt
Der Foucault-Ismus
Analyse und Kritik
Mangroven-Verlag, 2024, 301 Seiten
EUR 27,50 (AT), EUR 24,00 (DE), CHF 35,50 (CH)

Vor vierzig Jahren starb Michel Foucault. Der 1926 im westfranzösischen Poitiers geborene Philosoph gehört zu den meistzitierten Autoren, seine Darlegungen über die Disziplinargesellschaft, die Macht, das Subjekt, Wissen und Wahrheit sowie über die Gouvernementalität erfreuen sich noch immer großer Popularität in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Denjenigen Interpretationen Foucaults, die am meisten Resonanz erregt haben, widmet sich Meinhard Creydt. Er vertieft sich in seinem neuen Buch in zentrale von Foucault behandelte Materien und arbeitet für dessen Werk konstitutive Denkfiguren heraus.

Eine kritische Bestandsaufnahme von Foucaults Werk muss mit der Frage nach dem Realitätsgehalt seiner Analysen beginnen. »Ist es denn auch wahr, Herr F.?«, so lautete bereits 1978 die Überschrift eines Artikels zu Foucault. Creydt dreht bei Foucaults materialhaltigen Darstellungen zu den Disziplinen, zum Wahnsinn und zum Staat im »Neoliberalismus« zwar nicht jeden Stein um. Aber doch so viele, dass der fiktionale Gehalt deutlich wird. Auffällig sei, wie Foucault seine Leser mit vermeintlichen Tatsachen und aparten historischen Fundstücken geradezu bombardiere. Sie können aber oft nicht beweisen, was Foucault mit ihnen zeigen wolle.

Foucaults Absage an eine auf die Gesamtgesellschaft bezogene Theorie widmet Creydt besondere Aufmerksamkeit. Ein Befund: Foucault selbst folgt in seinen Darstellungen seit langem kritisierten Modellen. So argumentiere er in Bezug auf das Gefängnis funktionalistisch oder erkläre in einem unterkomplexen Basis-Überbau-Modell die Disziplinen zur Basis und die bürgerliche Gesellschaft sowie das bürgerliche Subjekt zum »Überbau«. Im Zentrum von Foucaults Denken stehen Creydt zufolge ein libertärer Freiheitsbegriff sowie eine »kritische Ontologie«, die das Singuläre gegen die Universalität starkmacht. Foucaults Drang, immer ein anderer werden zu wollen, entspreche den Pseudoinnovationen der Mode. Seine Leidenschaft, »im Glanze seines Selbst zu glitzern« (Foucault), stehe im Kontext des von ihm favorisierten histrionischen Lebensstils. Foucault kokettiert zugleich mit einer nebulösen Ablehnung jeglicher Herrschaft. Dieser Überbietungsgestus koexistiert friedlich mit der Botschaft, eine grundlegende Gesellschaftstransformation sei weder zu erwarten noch anzustreben.

Provokant und streitlustig ist Creydts Buch gewiss. Zugleich arbeitet er nah an den Texten, entwickelt seine Argumente aus dem Material, Foucault selbst kommt gebührlich zu Wort. Dennoch ist das dicht formulierte Buch kurzweilig zu lesen. Creydt beschreibt überzeugend, wie sich ein Kernbestand von Äußerungen zu Foucault herausgebildet hat, der das Bild von Foucault dominiert. Dieser »Foucault-Ismus« spricht Foucaults Auffassungen nach, als seien sie evident. Und dichtet sich mit selbstgenügsamer Redundanz gegen alle Einwände ab. Angesichts dessen sind Creydts Analyse und Kritik mehr als berechtigt. Sie erinnern an die klassische Frage nach des Kaisers neuen Kleidern. 

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