Konstruierte Aufregung

von Raphaela Edelbauer

Illustration: Lou Kiss

Wie sich Medien und rechte Kommentatoren eine woke Weltverschwörung gegen Helene Fischer zusammenreimten.


713 wörter
~3 minuten

Die Welt ist momentan nicht gerade arm an Dingen, über die man sich aufregen oder in Verzweiflung geraten kann, aber diese Headline der Kronen Zeitung vom 9. November, die in ähnlichen Iterationen in diversen anderen Boulevardmedien erschien, gehört nicht dazu: »Ablehnung des Islam. Rassistisch? Kinderlied-Wirbel bei Helene Fischer«. Der entsprechende Text erschien im Ressort »Society International« und berichtet von einer angeblichen Debatte über eines der Lieder auf Helene Fischers neuem Kinderliedalbum. Ursprünglich handelt es sich um ein arabisches Kinderlied, dessen lautmalerisches »A ram sam sam« die typische Phonetik des marokkanischen Dialekts nachahmt. Nun, berichten Kurier, FAZ, Kleine Zeitung und Blick unisono, habe es eine ungeheure Aufregung der ach so woken Gegenkultur gegeben, da dies ja mindestens kulturelle Aneignung sei oder gar eine »Ablehnung des Islam«, wie es in der Kronen Zeitung heißt, wobei das Lied selbst mit dem Islam nicht das Geringste zu tun hat.

Etwas an diesem Casus erschien mir recht merkwürdig: Erstens kam es mir seltsam vor, dass ein im Original arabisches Kinderlied selbst – und nicht etwa die Tatsache, dass eine Weiße es singt – angeblich als Problem wahrgenommen worden sei. Und zweitens ließ sich der originale Aufruhr, von dem die Medien schrieben, gar nicht auffinden, die Artikel verwiesen nur aufeinander. Einige von ihnen enden mit einem Verweis auf einen Text von Stern.de, der jedoch ebenfalls nicht benennt, wer sich so furchtbar aufgeregt haben soll, und nicht einmal den Namen des bzw. der Journalist:in enthält, der oder die die Meldung verantwortete. Ein Anruf beim Stern zeitigt Verwirrung: Man müsse bei der Chefredaktion nachfragen, woher die Meldung komme.

Geht man in der Timeline weiter rückwärts, stößt man auf einen Artikel im Berliner Kurier vom 4. November, und nun kommt der große Witz an der Sache: Der ursprüngliche Artikel spricht bereits von einer künstlich erzeugten Scheindebatte, die hauptsächlich für gute PR für Fischer sorge und gar keinen Ursprung habe. Joane Studnik arbeitet scharfsinnigerweise heraus, dass sich die Merkur Kreiszeitung fälschlich auf einen alten Artikel eines Musikwissenschafters aus dem Jahr 2021 bezogen habe. Das Interessante ist nun, dass diese erwiesenermaßen gar nicht aktuelle – und nicht einmal auf dieses Lied bezogene – Kritik aus der FAZ unverifiziert quer durch die Zeitungslandschaft übernommen wurde.

Wieder und wieder wird Nepomuk Riva, der an der Uni Würzburg forscht und jenen Artikel schrieb, mit seinen alten Aussagen zitiert. Genauer betrachtet steht er als einzige Quelle für jenen angeblichen Aufruhr. Er wurde schließlich von der FAZ anlässlich des vermeintlichen Shitstorms am 7. November noch einmal neu befragt und sagt als einziger in allen Artikel namentlich genannter Experte Folgendes: »Es wird in einer Fantasiesprache gesungen, die auf eine orientalische Sprache anspielt. Man macht sich damit über diese Sprachen lustig. Zudem gibt es Bewegungsanweisungen zu dem Lied, in denen die muslimische Gebetshaltung nachgeahmt wird.« Helene Fischer – und ich muss an dieser Stelle sagen, dass diese Sängerin wahrlich nicht von mir bewundert wird – performt jedoch keinerlei Gebetshaltung, und dass ein Lied marokkanischen Ursprungs sich über orientalische Sprachen »lustig macht«, ist nicht unbedingt einleuchtend, aber darum soll es gar nicht gehen.

Was an dieser schlechten Faktenlage, an der Unauffindbarkeit des angeblichen Shitstorms, den man etwa in sozialen Medien wie Threads vergeblich sucht, viel erstaunlicher ist, ist nämlich die Rolle, die im rechten Narrativ die ach so leichte Entzündlichkeit der woken Linken spielt. Die Kommentare unter den Artikeln nämlich sind ein echter, dokumentierbarer Shitstorm, der vonseiten derer kommt, die Helene Fischer gegen ein Phantom verteidigen, das es so nicht gegeben zu haben scheint. Hunderte Kommentare, die auf den Zug aufspringen, den die Trump-Rhetorik so gekonnt ins Rollen gebracht hat und demzufolge der Wokeism einem alle Freude verbieten wolle, sind allein unter dem Kronen Zeitung-Artikel zu finden. Wenn drei Tweets auf X sich über etwas echauffieren, diese dann von deutschen Qualitätsmedien als große Kritik verkleidet das Narrativ der Rechten prägen – dann muss man diese Realitätsverzerrung auch benennen.

Ich muss zugeben, dass ich Schriftstellerin bin und als Spezialistin für das Fiktionale von journalistischen Methoden nicht zu viel verstehe. Was ich aber verstehe, ist, dass ein einzelner Musikethnologe und ein paar Tweets kein woker Aufschrei sind – und dass wir den Rechten nicht erlauben dürfen, dies als Fahrwasser zu verwenden. 

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