Ohnmacht und Isolation

von Iuditha Balint

KRITIK & ZÄRTLICHKEIT #7 | Im Moment des Nichtstuns offenbart sich ein Weg, sich selbst dem Markt zu entziehen.

Der Neoliberalismus hat uns gelehrt, Arbeit besser zu delegieren als Tom Sawyer. Besser als in den Passagen, in denen Tom andere Jungen überredet, anstatt seiner den Zaun zu streichen, indem er ihnen diese Tätigkeit als etwas Erstrebenswertes schmackhaft macht. Arbeit als begehrenswert erscheinen zu lassen heißt auch, Arbeit zu delegieren: Banken haben das Onlinebanking erfunden, Möbelkonzerne das »Do it yourself«, und so wurden Kunden zu Dienstleistern. Beachtet werden sollte aber auch: Dienstleister zu sein bedeutet, Verantwortung zu haben.

Was aber, wenn jemand diese Verantwortung nicht tragen kann oder will? Die Frage beschäftigt literarische Texte, deren Protagonist:innen sich dem Markt entziehen. Die Kausalketten, die sie herstellen, muten logisch an: kein Markt, kein Begehren. Kein Begehren, keine Arbeit. Keine Arbeit, keine Verantwortung. Wie in Herman Melvilles Bartleby the Scrivener (1853). Einer der ersten deutschsprachigen Gegenwartstexte, die eine solche Verweigerungspraxis reflektieren, ist Christoph Peters Roman Heinrich Grewents Arbeit und Liebe (1996). Grewent arbeitet für ein Unternehmen, das Hygieneartikel herstellt, und steht für eine veraltete, waren- und produktionszentrierte ökonomische Ordnung, für harte Fakten und das Soll und Haben. Die Werte der New Economy, wie Flexibilität oder Kreativität, verunsichern ihn, er würde sich gern weiterhin in seinem Büro hinter seinen Zahlen verbarrikadieren – und schlittert beim Versuch, sich anzupassen, in paranoide Zustände, in eine Fantasiewelt, in der er sich immer mehr verliert, bis er für Kommunikation unempfänglich wird.

Ein bewussterer Verweigerungsprozess begegnet uns in Jakob Heins Herr Jensen steigt aus (2006). Jensen, ehemaliger Student und inzwischen arbeitsloser Briefträger, isoliert sich sukzessive in seiner Wohnung, bis er sogar seinen Briefkasten abmontiert und damit Erreichbarkeit unterbindet. Und auch Philipp Löhles Stück Genannt Gospodin (2007) thematisiert das Verweigern von materiellem Besitz, Öffentlichkeit und Kommunikation.

Im Moment des Nichtstuns offenbart sich in diesen Texten ein Weg, sich selbst dem Markt zu entziehen. Die Kehrseite dieses Weges: die Ohnmachtsbezeugung und Auflösung des ökonomischen Subjekts.

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