Mit einer blau-schwarzen Bundesregierung ante portas, der ersten mit einem freiheitlichen Kanzler, treten die Kräfteverhältnisse in Österreich unverstellt zutage. Linke Mehrheiten waren hierzulande immer schon rar. 1945, bei den ersten freien Wahlen, reichte die Stimmenmehrheit von SPÖ und KPÖ nicht für eine Mandatsmehrheit im Nationalrat; regieren sollten die beiden Parteien anschließend ohnehin gemeinsam mit der ÖVP. An Stimmen und Mandaten konnte nur Bruno Kreisky in den Jahren 1971 bis 1983 die Rechte überflügeln, wenn auch mit einem für damalige Verhältnisse vergleichsweise mittigen Programm. Seither haben sich die politischen Mehrheiten sukzessive nach rechts verschoben.
Im Jahr 2000 holte die ÖVP erstmals die FPÖ unter Jörg Haider in die Regierung, seitdem haben sich die Freiheitlichen als Machtoption für die ÖVP und die mit ihr verbundenen Interessengruppen fest etabliert. Verlangte die ökonomische Lage nach einer Einbindung der Arbeiterschaft – etwa infolge der Finanzkrise nach 2007/08 –, war die SPÖ ein weiterhin wohlgelittener Koalitionspartner, drängte es die ÖVP zu »schmerzhafteren Einschnitten«, stand die FPÖ stets verlässlich parat.
Im Lichte von Blau-Schwarz anno 2025 stellt sich das Verhältnis zwischen ÖVP, FPÖ und den je mit ihnen verbundenen Kapitalfraktionen heute neu konfiguriert dar. Industrie und Großkapital haben für die ÖVP in ihrer Funktion als parteigewordener ideeller Gesamtkapitalist ganz offensichtlich keine Verwendung mehr. Die der Partei neuerdings zugedachte Rolle erschöpft sich darin, Mehrheiten für »Reformen« zu liefern. Damit unterscheiden sich die heutigen Strategien von Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer signifikant von jenen um die Jahrtausendwende und in den Jahren von Sebastian Kurz. War das Wohl der ÖVP – um den Preis des Niedergangs der FPÖ, Stichwort »Entzauberung« – damals stets immanenter Bestandteil jeglicher Bündnis- bzw. Koalitionsüberlegungen, riskiert man heute, dass sich die FPÖ mittel- bis langfristig als führende bürgerliche Elitenpartei etabliert.
Dass Kickl als Kanzler die kommende Legislaturperiode genau darauf auslegen wird, deutete schon sein »turn« im zurückliegenden Wahlkampf an: weg von der sozialen Frage hin zu einer aggressiv-neoliberalen Agenda. Die bislang eingeschlagenen Pflöcke in Sachen Budgetkonsolidierung scheinen diese Strategie zu bestätigen. Das berühmt gewordene Feld des »von der SPÖ enttäuschten Arbeiters« ist abgegrast, jetzt geht es der FPÖ darum, die ÖVP zu kannibalisieren. Nach dem Urnengang im Burgenland wird die auf Ende April vorverlegte Wien-Wahl davon ein weiteres Mal Zeugnis ablegen.
Stichwort Budgetkonsolidierung: Dass FPÖ und ÖVP den Staatshaushalt ohne EU-Defizitverfahren in den Griff bekommen wollen, nährte mancherorts Spekulationen, die Freiheitlichen könnten es insgeheim darauf angelegt haben, dass Brüssel seinerseits ein solches Verfahren gegen Österreich einleitet. Das Kalkül: Kickl erwüchse auf diese Weise ein erwünschter Außenfeind, gegen den sich jahrelang agitieren ließe. Hier der sich um Österreich sorgende Pater Patriae, dort der Moloch aus Brüssel, der sich anschickt, dem Nettozahler Österreich auch noch den Umgang mit seinen Staatsfinanzen zu diktieren.
Ganz abgesehen davon, dass man den blau-schwarzen Sparplänen zwar vieles absprechen kann, gewiss aber nicht fehlende, gleichwohl falsche, Ambition, lässt dieses Szenario vollkommen außen vor, wie kompatibel die extreme Rechte und die Idee der EU in den letzten Jahren bereits geworden sind. Hans Kundnani hat dafür zuletzt auch in dieser Zeitschrift plausibel argumentiert. Es spricht daher einiges dafür, dass Kickl viel eher im Europäischen Rat die Achse Meloni–Orbán verstärken und gemeinsam mit den Proponenten der radikalisierten Mitte-rechts-Parteien – Friedrich Merz’ großer Auftritt als Kanzler der mächtigsten Volkswirtschaft des Kontinents steht unmittelbar bevor – die EU insgesamt noch weiter nach rechts zu verschieben helfen wird.
»Auf gröbere innere Konflikte lässt Blau-Schwarz nicht hoffen, im Gegenteil, es ist ein vergleichsweise stabiles Projekt angelegt.«
Fraglos sind außenpolitisch, etwa hinsichtlich des Krieges in der Ukraine und der Beziehungen zu Russland, reichlich Konfliktlinien vorhanden, in einem neutralen Land wie Österreich wiegen diese allerdings wesentlich weniger schwer. Dazu kommt, dass auch gewichtige, traditionell mit der ÖVP verbundene Kapitalfraktionen großes Interesse an einer Entspannung der Beziehungen zu Russland haben. Was den zweiten globalen Brandherd unserer Tage betrifft, den Krieg Israels in Gaza, passt zwischen die beiden Parteien ohnehin kein Blatt. Ausgerechnet die Ahnparteien des hiesigen Judenhasses stehen heute am unverbrüchlichsten an der Seite der Netanjahu-Regierung.
Auf gröbere innere Konflikte lässt Blau-Schwarz also nicht hoffen, im Gegenteil, es ist ein vergleichsweise stabiles Projekt angelegt, das angesichts seiner zu erwartenden Überbaupolitiken – im Asylwesen und in Minderheitenfragen, bei Anti-Woke- sowie Anti-Klima-Maßnahmen – auch (mehrheits-)gesellschaftlichen Zuspruch erwarten lässt.
Was also tun? Eine mögliche Antwort darauf ist dort zu suchen, wo die Ursachen für die Niederlage der Linken bei der Nationalratswahl im vergangenen Jahr ihren Ursprung haben. Während Kickls FPÖ sich selbst mit dem »Volk« in eins setzte und ihren »Kampf gegen die Elite« und die »Einheitsparteien« in Dauerschleife propagierte, haben SPÖ und KPÖ aus je unterschiedlichen Gründen den Antagonismus zwischen oben und unten kaum oder nur handzahm zu bedienen verstanden. Andreas Babler ist es nicht gelungen, sich aus dem Würgegriff der Pragmatiker in seiner eigenen Partei zu befreien und die SPÖ als Interessenpartei der Arbeitenden im weitesten Sinne zu reetablieren. Die KPÖ wiederum hat über die Betonung ihrer alltagstauglichen Rolle die Zugespitztheit der politischen Debatte ganz offensichtlich verkannt.
Beiden Parteien ist mehr Mut zum Konflikt dringend angeraten. Die Voraussetzungen dafür sind nicht ungünstig. Babler steht die Rolle des Oppositionsführers fraglos besser zu Gesicht als jene des Vizekanzlers. Er wird die unerwartete Nachspielzeit, in die sein Projekt durch das Scheitern der Koalition mit ÖVP und Neos nun geht, nutzen müssen – am besten, indem er als Erstes das Gerede von der »Staatsverantwortung« einpackt. Die KPÖ wird sich indes nicht nur im Kampf um den Einzug in den Wiener Landtag von einer anderen Seite zeigen müssen. Im nächsten Jahr stehen in Graz Gemeinderatswahlen an, und für die Partei geht es um nicht weniger als die Verteidigung des Bürgermeisterinnensessels.
Insbesondere für die Kommunistinnen gilt es, dort, wo sie in Regierungsverantwortung sind, den Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital offensiv zu politisieren, wenn notwendig unter Zuhilfenahme kalkulierter Rechtsbrüche. Allerdings nicht so, wie es ÖVP und FPÖ in der Vergangenheit vorgeführt haben (etwa bei der Ungleichbehandlung nichtösterreichischer Staatsbürger in Sachen Familienbeihilfe), sondern für Projekte im Interesse der Vielen: Gegen das Billigstbieterprinzip bei der Vergabe kommunaler Buslinien? Aber ja! Für großzügige öffentliche Bautätigkeiten im kommunalen Wohnbau? Gerne! Gegen das über die Maastricht-Kriterien durchgesetzte Austeritätsdiktat für Kommunen und Gemeinden? Immer!
Zugleich werden die kommenden Jahre allen Sektoren der gesellschaftlichen Linken die Offenheit für eine integrative Praxis der Gegenwehr abverlangen, die die abhängig Beschäftigten genauso mit einschließt wie die Klimabewegung, migrantische Initiativen und viele mehr.
Die da oben, sie heißen in den kommenden fünf Jahren Herbert Kickl und Christian Stocker. Allein sie werden die Themen und den Takt der innenpolitischen Debatte in der vor uns liegenden Legislaturperiode vorgeben. Das Fatalste wäre es, man glaubte, es gäbe noch irgendetwas mitzureden.
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