Als Federica Montseny am 4. November 1936 als Gesundheitsministerin dem spanischen Regierungsrat unter dem Sozialisten Francisco Largo Caballero beitrat, war das in verschiedener Hinsicht bemerkenswert. Angesichts der Bedrohung der revolutionären Errungenschaften in den ersten Monaten des Bürgerkriegs und vor dem Hintergrund des Vormarsches der rebellierenden Falangisten und Faschisten setzten Teile der damals einflussreichen anarchistischen Bewegung auf eine Institutionalisierung der Macht: Je zwei Vertreter:innen der Confederación National de Trabajo (CNT), damals die mutmaßlich größte Gewerkschaft der Welt, und der radikaleren Federación Anarquista Ibérica (FAI) beteiligten sich an der republikanischen Regierung. Neben Juan García Oliver vertrat Montseny die FAI. Dass erstmals eine Frau ein Ministeramt bekleidete, wurde etwa von der sozialistischen Abgeordneten und feministischen Aktivistin Margarita Nelken gefeiert. In einem Artikel in der Tageszeitung Claridad schrieb sie, Montseny sei zudem die authentische Repräsentantin der Arbeiterklasse.
Die Regierungsbeteiligung allerdings war innerhalb der libertär-sozialistischen Bewegung höchst umstritten. Seit Jahrzehnten kämpften Anarchist:innen in verschiedenen Ländern und Regionen unter kollektivistischen, kommunistischen, syndikalistischen und anderen Vorzeichen für eine Gesellschaft ohne Staat. Und dann das: die Beteiligung an der Regierung der Spanischen Republik, die sich im Krieg gegen die aufständischen Generäle der extremen Rechten befand.
Montseny, die als Tochter der bekannten anarchistischen Aktivist:innen und Intellektuellen Teresa Mañé Miravet alias Soledad Gustavo und Juan Montseny alias Federico Urales aufwuchs, verkörperte nicht nur aufgrund ihrer Sozialisation in ihrem Elternhaus das theoretische Wissen der anarchistischen Tradition. Sie tat dies auch durch ihre organisatorischen und literarischen Praktiken. Zugleich kann sie als Sinnbild auch für deren praktischen Widersprüche gesehen werden. Schließlich war sie, als entschiedene Gegnerin des Staates, die erste Ministerin in Spanien und eine der ersten im Europa des 20. Jahrhunderts.
Bürgerkrieg und Exil
Der Spanische Bürgerkrieg, der am 18. Juli 1936 mit einer militärischen Offensive der rechten Generäle gegen die Republik begann und mit Francos Sieg im April 1939 endete, ist nicht nur ein Abschnitt in der Geschichte dieses Landes. Er war durch die Beteiligung Deutschlands und Italiens aufseiten der Falangisten, durch die Nichteinmischung Englands und vor allem Frankreichs, das von einer Volksfront regiert wurde, durch die Unterstützung Stalins, die die Republik in mehrfacher Hinsicht teuer zu stehen kam, und nicht zuletzt durch die Internationalen Brigaden, denen sich Linke aus vielen europäischen und amerikanischen Ländern anschlossen, um für die Republik zu kämpfen, auch ein Schlüsselereignis in der Geschichte der Linken im Europa des 20. Jahrhunderts. Mit globalen Dimensionen. Auch Mexiko unterstützte die Republik, rund 200.000 Republikaner:innen und Anarchist:innen fanden nach 1939 in Mexiko ihr Exil. Montseny, die nach Frankreich ins Exil ging, beschrieb die Niederlage im Bürgerkrieg rückblickend sehr treffend als »Tragödie internationalen Ausmaßes für die anarchistischen Ideen und für die Linke insgesamt«.
Als Reaktion auf die Rebellion der Generäle war direkt im Juli 1936 in weiten Teilen Kataloniens und Andalusiens mit der Umsetzung einer sozialen Revolution begonnen worden, getragen von proletarischen Massen in den Städten und Bäuerinnen und Bauern in den ländlichen Regionen. Diese Prozesse waren von anarchistischen und anarchosyndikalistischen Organisationen vorbereitet, koordiniert und gestützt worden. Montseny war 1931 in die CNT eingetreten und eine beliebte Rednerin auf deren Propagandaveranstaltungen. Bei dem Kongress der CNT im Mai 1936 setzte sie sich für die Verabschiedung eines anarchokommunistischen Rahmenprogramms ein, das die freien Kommunen zur politischen Grundlage einer libertär-sozialistischen Gesellschaft erklärte. Der Antrag konnte sich gegen den anarchosyndikalistischen, die Betriebe und Gewerkschaften als Fundamente der revolutionären Entwicklung präferierenden Antrag durchsetzen.
Obwohl Sympathisantin der radikaleren FAI, hielt Montseny den Regierungseintritt 1936 für sinnvoll. Gerade auch in der Übernahme des neu gegründeten Gesundheitsministeriums sah sie eine Möglichkeit, schreibt ihre Biografin Irene Lozano, ihre »revolutionäre Arbeit« besonders gut umzusetzen. Die Revolution hat »uns die Möglichkeit in die Hände gelegt«, schrieb Montseny selbst 1937 in einem Bulletin, »Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit« zu verwirklichen. Ihre eigene Regierungszeit reflektiert sie auch in einer Art Rechenschaftsbericht, vorgetragen auf einer CNT-Konferenz im Juli 1937. Zwar berichtet sie darin von den starken Zweifeln und den inneren Kämpfen, die ihrem Eintritt in die Regierung vorausgingen. Schließlich aber beschreibt sie den Regierungseintritt als antifaschistisches Gebot der Stunde, als einen Schritt im Kampf gegen den Faschismus nicht nur in Spanien, sondern, wie sie im Einklang mit dem Anspruch des proletarischen Internationalismus schreibt, »in der ganzen Welt«.
Ihre Arbeit wertet sie als »reformistisches Werk« im revolutionären Sinne: Als Gesundheitsministerin brachte sie das erste Gesetzesvorhaben zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen auf den Weg, reformierte die Kinderheime und setzte sich für öffentliche Küchen für Schwangere ein. Auch für die Verbesserung der sozialen Situation von Prostituierten engagierte sie sich. Ihre Möglichkeiten inmitten des Krieges blieben begrenzt, schon Mitte Mai 1937 musste sie ihr Amt niederlegen. Dem vorausgegangen war eines der wohl tragischsten Ereignisse in der Geschichte der Linken des 20. Jahrhunderts: Die Anhänger:innen der stalinistischen Kommunistischen Partei (PCE) versuchten gemeinsam mit den Rechtssozialist:innen die Macht in der republikanischen Zone an sich zu reißen und gingen mit Waffengewalt gegen die Anarchist:innen und die Linkssozialist:innen von der Partido Obrero de Unificación Marxista (POUM) vor. Es kam zu Mordanschlägen auf einflussreiche Anarchist:innen und als »Trotzkisten« diffamierte POUM-Mitglieder sowie zu tagelangen Gefechten zwischen beiden Seiten in Barcelona – inmitten des antifaschistischen Kampfes.
Schriftstellerin und Propagandistin
Der Anarchismus hatte in Spanien die größte und einflussreichste Massenbasis weltweit gefunden, wie Montseny 1976 in ¿Que es el Anarquismo? (Dt.: Was ist der Anarchismus?) rückblickend schrieb. Wenn auch sehr proletarisch geprägt, habe der Anarchismus doch nichts mit Rückständigkeit oder Armut der Bevölkerung zu tun, betont Montseny. Er könne als Haltung in jeder sozialen Position entstehen, egal ob bei rebellierenden Bauern und Bäuerinnen oder Intellektuellen. In der Abhandlung von 1976 wird die Regierungszeit nur gestreift, der Widerspruch zwischen Regierungsbeteiligung und anarchistischer Antistaatlichkeit scheint ihr kaum mehr der Rede wert.
1931 hatte Montseny bei der Eröffnung eines Ateneo Libertario, in den 1930er-Jahren weit verbreitete, anarchistische Bildungs- und Begegnungsorte, die Grundlagen ihres Anarchismusverständnisses erläutert. In dem in La Revista Blanca abgedruckten Text heißt es: »Organisiert euer Leben frei und verzichtet auf Götter und Herren, auf Herrschaften und Privilegien, die von den Stärksten zum Nachteil der Schwächsten geschaffen und aufrechterhalten werden.« Mit der Kritik an Privilegien, die auf soziale Strukturen und individuelle Haltungen zugleich zielte, nahmen die Anarchist:innen durchaus schon so manches Motiv heutiger Debatten um den Privilegien-Check vorweg. Diese kritische Haltung war allerdings verknüpft mit dem Anliegen anarchosyndikalistischer Organisierung und der Kontrolle von Produktion und Konsumtion.
Zu den Widersprüchen in Montsenys Leben, so Biografin Irene Lozano, gehöre auch, dass sie eigentlich Schriftstellerin werden wollte und schließlich als anarchosyndikalistische Propagandistin Erfolg hatte. Denn Montseny war nicht nur Aktivistin und Organisatorin, sie schrieb auch fiktionale Literatur, viele ihrer 52 bei Wikipedia gelisteten Novellen und Romane erschienen in der von ihren Eltern ins Leben gerufenen Buchreihe »La Novela Ideal«. Eine angewandte Literatur, die Ästhetik als ethischen Auftrag begriff und die die Ideale der Bewegung vermitteln sollte. Von der Revista Blanca herausgegeben, der von ihren Eltern publizierten libertär-sozialistischen Zeitschrift, erschienen die Romane der »La Novela Ideal« zeitweise im wöchentlichen Rhythmus mit einer Auflage von 50.000 Exemplaren. Dennoch sind die meisten Bücher dieser Reihe heute wohl nur noch im Internationalen Institut für Sozialgeschichte (IISH) in Amsterdam einsehbar, das immerhin 569 von insgesamt 591 Titeln gesammelt hat.
Unter Montsenys Werken finden sich viele, die schon mit Titeln wie Frente al amor (Angesichts der Liebe, 1929), El amor que pasa (Die vergehende Liebe, 1931) oder Amor en venta (Käufliche Liebe, 1934) auf die große Bedeutung verweisen, die Liebes- und Sozialbeziehungen in ihrer literarischen Agitation spielten. Es ging ihr dabei immer um die Ermächtigung zum Widerstand gegen patriarchale Strukturen und Praktiken. Der Romantitel La indomable (Die Unbezwingbare, 1938) wurde von Susanna Tavera i García 2005 als treffender Titel einer weiteren Montseny-Biografie verwendet.
Antifeministische Feministin
In ihren literarischen Texten beschrieb Montseny Liebe und Partnerschaft aus einer weiblichen Perspektive, aus der die Mehrfachbelastung von Frauen durch Lohn- und Reproduktionsarbeit sowie durch patriarchale Familienstrukturen kritisiert wurde. Mit ihrem ersten größeren Roman, La Victoria (1925), löste Montseny eine Debatte über Geschlechterrollen in Spanien aus, die, wie die Kulturwissenschafterin Christina Wieder schreibt, »über anarchistische Kreise hinaus Wellen schlagen sollte«. In ihrem Aufsatz zur »Verortung weiblichen Begehrens« betont Wieder auch, dass in Montsenys fiktionalen Texten nicht vorgefertigte Modelle präsentiert würden, wie Liebe und Beziehungen aus anarchistischer Sicht zu gestalten seien. Vielmehr kreiere sie in ihrem »literarischen Werk Übergangszonen, um den Status quo und die post-revolutionäre Gesellschaft miteinander zu verknüpfen«.
Von 1927 an hatte sie in einer Artikelreihe unter dem Titel »Die Frau, Problem des Mannes« (»La mujer, problema del hombre«) feministische Themen aus anarchistischer Perspektive besprochen. Wenn sie sich auch nicht Feministin nannte, trat sie in ihren Schriften doch immer wieder klar für die Selbstbestimmung der Frauen in soziopolitischen und sexuellen Belangen auf, stellt Antonina Rodrigo in ihrer Montseny-Biografie heraus. Ihre andere Biografin, Irene Lozano, beschreibt Montsenys Haltung treffend als einen »antifeministischen Feminismus«. Zur bedeutendsten und größten Frauenorganisation der anarchistischen Bewegung, den 1936 gegründeten Mujeres Libres (Freie Frauen), blieb Montseny auf Distanz. Zwar schrieb sie in deren gleichnamiger Zeitung und redete auch auf Versammlungen, sah diese Form identitätspolitischer Organisierung von Frauen aber eigentlich als unnötig an. Die Emanzipation der Geschlechter schien ihr mehr eine Frage der individuellen, moralischen Entwicklung als eine der Kollektivierung. Die »Existenz einer spezifisch feministischen und libertären Organisation«, schrieb die Historikerin Mary Nash deshalb in ihrer Geschichte der Mujeres Libres, hielt Montseny »nicht für opportun«.
Auch grenzte sie sich von manch feministischer Forderung ab: Während selbst anarchistische Männer wie etwa der als Gründervater des spanischen Anarchismus gehandelte Anselmo Lorenzo (1841–1914) die Kleinfamilie auflösen und damit auch die Beziehung zwischen Mutter und Kindern kollektivieren wollten, hielt Montseny Mutterschaft als wichtige Bestimmung des Frauseins hoch. Montseny war auch selbst Mutter dreier Kinder – Vida (1933), Germinal (1938) und Blanca (1942) –, die sie gemeinsam mit ihrem Genossen Germinal Esgleas hatte, mit dem sie nach dem Bürgerkrieg fast 40 Jahre in Toulouse im Exil lebte. Für ihre Position zur Mutterschaft wurde sie aber auch aus den Reihen der Mujeres Libres kritisiert, wie der Romanist Martin Baxmeyer in seiner Biografie von deren Mitbegründerin Amparo Poch i Gascón (1902–1968) aufgezeigt hat. Die anarchistische Ärztin Poch i Gascón, die ebenfalls literarische Erzählungen schrieb, war auch Mitarbeitern Montsenys während ihrer Zeit als Ministerin.
War ihre Position schon unter den Zeitgenoss:innen in den eigenen Reihen nie unumstritten, wurde auch aus der historischen Distanz heraus, zumal vom politisch rechten Spektrum aus, hart geurteilt. Der konservative Historiker Pío Moa wirft Montseny gar vor, eine »Diktatur« errichtet zu haben. Eine kaum haltbare These, die ihn aber zu der Schlussfolgerung bringt, damit zeige sich der zentrale Widerspruch des Anarchismus selbst, »eine von der anarchistischen Doktrin selbst erzeugte Aporie«, nämlich sich im Widerspruch zur eigenen Theorie nur durch eine Diktatur umsetzen zu lassen. So kurz ist der Weg vom Widerspruch zum notwendigen Scheitern des Anarchismus dann aber wohl doch nicht, der Abgesang ein Kurzschluss.
Auch wenn der Anarchismus sich nie wieder als Massenbewegung wie in den 1930er-Jahren formieren konnte, blieb er doch eine wichtige Subströmung in der Geschichte der Linken. Neoanarchismen prägten die Revolten von 1968 an vielen Orten der Welt, nicht nur der Poptheoretiker Greil Marcus sah in den 68er-Bewegungen und den ihnen vorausgehenden kulturellen Avantgarden ein tätiges Anknüpfen an »die unvollendete anarchistische Revolution« von 1936. Und als sich 2011 die Occupy-Wall-Street-Bewegung, angestoßen durch den Arabischen Frühling, gegen Prekarität und für Partizipation formierte, schrieb der Anarchist und Anthropologe David Graeber, die Bewegung sei »nicht trotz der anarchistischen Elemente zustande gekommen. Vielmehr verdankt sie ihnen ihren Erfolg.« Obwohl zeitgleich in Spanien mit den Indignados, den Empörten, eine weitere Demokratiebewegung den Hashtag #SpanishRevolution benutzte, blieben die Bezugnahmen auf den historischen Anarchismus jedoch sehr begrenzt.
Federica Montsenys Schriften, die sie bis ins hohe Alter publizierte, werden heute wohl nur noch von Insider:innen und Historiker:innen gelesen, verfügbare deutsche Übersetzungen gibt es nicht. Montseny starb Anfang 1994 mit 88 Jahren. Nach Spanien kehrte sie erst 1977 zurück, nach Francos Tod und nach 38 Jahren im französischen Exil. Es gibt ein Foto von ihr, auf dem sie im selben Jahr in Barcelona vor Tausenden von Anhänger:innen der CNT spricht. Die intellektuelle ältere Dame mit den anarchokommunistischen Ansichten vor den Arbeitermassen: Was wie die Inszenierung eines Widerspruchs wirkt, ist doch nur ein Bild aus einer anderen Zeit.
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