»Gänzlich unpolitische Musik gibt es nicht«

von Jannik Eder

Beim Signale-Fest am 8. Mai geht es nicht nur um Musik, sondern auch um den guten Zweck und die politische Sache. Ein Gespräch mit zwei der Köpfe hinter der Veranstaltung.


1592 wörter
~7 minuten

Dass das Signale-Fest an dem Datum, das für die Befreiung vom Nationalsozialismus steht, stattfindet, ist kein Zufall: Der 8. Mai sei ein Tag »der Freude und des Widerstands. Und genau dafür steht das Signale-Fest«, sagt Bernhard Kern, der gemeinsam mit Susi Schwarz, beide im Organisationsteam, für ein Vorabgespräch Zeit hatte. Dabei ging es nicht nur um die Veranstaltung selbst, sondern auch um kulturpolitische Fragen wie Fördergelder oder die politische Verantwortung heutiger Popstars.

Das TAGEBUCH ist Medienpartner des Fests im Wiener Flex-Café. Neben Live-Auftritten von Vereter, Laut Fragen und Zum Scheitern Verurteilt wird es an dem von Denice Bourbon (Politically Correct Comedy Club) moderierten Abend auch einen Wortbeitrag der Zeithistorikerin Lucile Dreidemy geben, die für das aktuelle TAGEBUCH unter anderem zum Gedenkjahr 2025 interviewt wurde. Die Signale-Eintrittsgelder gehen an die Organisation Queer Base.

Jannik Eder | Euer Kollektiv nennt sich »Teil des linken Musiker:innenrat-Netzwerks«. Etwas kryptisch! Was steckt dahinter?

Bernhard Kern | Die Idee entstand 2017, als einige Menschen aus dem alternativen Musikumfeld politisch aktiv werden wollten. Bei der Namensfindung erzählte eine Person von einem alten »Linkes Musikerrat-Netzwerk«-Plakat aus den 90ern, das in ihrem Proberaum hing. Es ist bis heute unklar, ob das eine echte Gruppe war oder einfach nur ein Statement, aber wir fanden es cool, das klang nach Geheimorganisation. Also warum nicht sagen, wir sind Teil dieses Netzwerks? Das hatte etwas Ironisches, etwas Offenes. Wir sind eben nicht das Netzwerk, sondern nur ein Teil davon.

Susi Schwarz | Es war eine politisch aufgeladene Zeit rund um die erste Kurz-Regierung. Wir haben dann das erste Signale-Fest in der Arena organisiert – das war gut besucht und eine Möglichkeit, Musik mit politischen Initiativen zu verbinden. Zum Beispiel haben wir damals – wie auch heuer – die Eintrittsgelder an Queer Base gespendet. Wir arbeiten alle ehrenamtlich, bringen unsere jeweiligen Expertisen aus Musik, Konzert- und Veranstaltungsorganisation ein – einfach aus Überzeugung.

JE | In eurem Kollektiv sind also einerseits Menschen, die selbst Musik machen, und andererseits solche, die in anderer Form mit Musik zu tun haben – etwa wie ihr, von der Label-Seite kommend?

BK | Genau. Es ist keineswegs ein Aufnahmekriterium, dass man ein Instrument spielt oder aktiv Musik macht. Es gibt auch Leute, die einfach gern bei Konzerten und Partys dabei sind und sich für das Ganze interessieren.

SSch | Ja, einfach Nachtvögel. Menschen, die man über das Nachtleben, über Veranstaltungen kennengelernt hat.

JE | Eure Devise lautet: »Musik politisch machen«. Gibt es eigentlich unpolitische Musik?

SSch | Ich glaube, das hängt stark von der Intention ab. Wenn Populärkultur einfach nur den Status quo reproduziert, dann empfinde ich das als eher unpolitisch. Sobald man aber Missstände benennt oder Veränderung anstrebt, wird es politisch.

BK | Ich sehe das etwas weiter gefasst. Auch das Nicht-Positionieren ist letztlich ein politischer Akt. Wenn man sich enthält oder nichts sagt, trifft man damit auch eine Entscheidung, das ist auch eine Form von Handeln. In unserem Kollektiv sind unterschiedliche Haltungen vertreten. Manche sagen klar, ihre Musik hat eine queerfeministische Agenda. Andere wollen keine explizite politische Botschaft in ihrer Kunst formulieren – und auch das ist legitim. Und manche engagieren sich politisch außerhalb ihrer Musik, bei Demos oder in Projekten, und in ihrer Kunst ist das vielleicht nicht direkt hörbar.

JE | Nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Publikum gibt es Leute, die sagen, Musik soll nicht politisch sein, ich möchte einfach unterhalten werden. Was würdet ihr solchen Stimmen entgegnen?

SSch | Grundsätzlich würde ich zustimmen, pures Entertainment hat auch seine Berechtigung.

BK | Das sehe ich auch so, dennoch – ich wiederhole mich – wird man die Musik, die gänzlich unpolitisch ist, wohl nicht finden. Auch wenn man keine politischen Pamphlete formuliert, schwingt in der Art und Weise, wie man Musik macht, oft eine Haltung mit: im Sound, in der Ästhetik, in der Präsentation.

SSch | Wenn man aus der Indie- oder alternativen Szene kommt, aus einem tendenziell linken künstlerischen Umfeld, dann ist diese politische Dimension fast automatisch mit drin – selbst wenn sie nicht explizit ausgesprochen wird.

BK | Und trotzdem ist es ein Trugschluss zu glauben, dass alle Leute aus solchen Szenen automatisch progressiv sind. Es gibt da auch Künstler:innen oder Musikarbeiter:innen, die sehr neoliberal, antifeministisch oder generell total konservativ sind.

Bernhard Kern spielte seit den späten 1990ern als Musiker in unterschiedlichen Formationen. Seit 2005 betreibt er das Label Siluh Records mit angeschlossenem Plattengeschäft in der Wallensteinstraße in Wien-Brigittenau. Susi Schwarz ist akademische Bildhauerin, genreübergreifende Veranstalterin, hat das Label und den Verlag Numavi Records/Publishing gegründet und führt seit 2021 ihre eigene Musik-PR-Agentur. (Foto: TAGEBUCH)

JE | Findet ihr, große Popstars tragen auch eine große gesellschaftliche Verantwortung?

SSch | In gewisser Weise schon – vor allem heute, wo Popstars oft als Einzelpersonen im Fokus stehen. Das ist eine Ausgeburt unserer Zeit und der Social-Media-Logik. Hinter dem Star steht natürlich eine riesige Maschinerie, aber sichtbar ist vor allem eine Einzelperson – nicht eine Band oder ein Kollektiv. Durch diesen Fokus entsteht ein starker Identifikationsfaktor, besonders für junge Menschen. Und ja, wer eine große Reichweite hat, trägt auch Verantwortung – dafür, was gesagt wird, wie es gesagt wird und gegenüber wem. Am Ende ist es wie bei allen Menschen: Verantwortung gehört dazu. Nur wird sie bei solchen Figuren eben millionenfach verstärkt.

JE | Ihr habt es angesprochen, euer Kollektiv war schon von 2017 bis 2019/2020 aktiv, zur Zeit von Türkis-Blau unter Sebastian Kurz. Als Anfang dieses Jahres eine blau-schwarze Regierung unter einem Kanzler Herbert Kickl drohte, habt ihr euch revitalisiert. Welche Ideen und Projekte sind seither entstanden sind.

SSch | Der Impuls für unsere Revitalisierung kam eigentlich aus einem Gefühl der Ohnmacht heraus. Man fragte sich: Geht es anderen auch so? Was kann man gemeinsam tun? Für mich war klar: Ich will nicht allein bleiben mit diesem Gefühl. Nach ein paar Einzelgesprächen kam es zum ersten Treffen. Und da war plötzlich richtig viel Energie. Wir waren mit 20, 30 Leuten in einem viel zu kleinem Raum. Manche wollten direkt Veranstaltungen organisieren, andere sich wieder stärker an Demos beteiligen. Es entstand eine neue Struktur mit verschiedenen Schwerpunkten, aber einem gemeinsamen Ziel: Zusammenhalt und Sichtbarkeit. Es geht darum, kreativ, laut und solidarisch präsent zu sein.

JE | Was erwartet einen beim Signale-Fest am 8. Mai konkret?

SSch | Durch den Abend führt Denice Bourbon – sie kennt man unter anderem vom Political Correct Comedy Club. Sie war auch schon bei den ersten Signale-Festen dabei und ist definitiv eine Wegbereiterin des Projekts. Musikalisch beginnt der Abend mit Vereter, da bekommen wir queerfeministisches Wienerlied mit migrantischer Perspektive zu hören. Danach tritt Laut Fragen auf – eine sehr politische Elektropunk-Band. Im Anschluss folgt Zum Scheitern Verurteilt, da tummeln sich 15 Personen auf der Bühne, die ständig die Instrumente tauschen. Ich bin selbst gespannt, sie zum ersten Mal live zu erleben – das wird sicher intensiv. Außerdem wird es einen Redebeitrag geben von Lucile Dreidemy, Historikerin am Institut für Zeitgeschichte. Sie liefert den theoretischen Unterbau zum 8. Mai – dem Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, der sich heuer zum 80. Mal jährt.

BK | Der 8. Mai war für uns der Aufhänger: Wir wollten zur offiziellen Gedenkveranstaltung auf dem Heldenplatz ein subkulturelles Pendant schaffen, das den Tag der Befreiung als das zeigt, was er sein sollte – ein Tag der Freude und des Widerstands. Und genau dafür steht das Signale-Fest.

JE | Was wünscht ihr euch als Musik- und Kulturnetzwerk für die nähere Zukunft?

SSch | Mir kommt da leider erstmal ein Beispiel in den Sinn, wie es nicht sein sollte: die Situation in der Steiermark, wo die progressive Kultur enorm unter Beschuss steht, seit die FPÖ seit letztem Jahr die Landesregierung anführt. Es ist erschreckend zu sehen, wie schnell sich Dinge politisch verschieben können. Ich war vor kurzem beim Elevate-Festival in Graz und habe mit vielen Kulturschaffenden gesprochen. Und fast alle haben ihre Förderungen verloren. Das ist nicht nur existenzbedrohend, sondern auch freiheitsbedrohend. Es betrifft nicht nur Einzelpersonen, sondern ganze Strukturen. Wenn das der politische Kurs bleibt, dann ist das das Gegenteil von dem, was Kunst und Kultur brauchen.

JE | Kunst und Kultur brauchen einfach bloß mehr staatliche Gelder?

SSch | In Österreich basiert viel auf staatlicher Förderung, was große Vorteile hat – insbesondere finanzielle Sicherheit für Kunst- und Kulturprojekte. Viele aus meinem Umfeld, zum Beispiel bei Numavi Records, wollten am Anfang ganz bewusst unabhängig bleiben. Irgendwann merkt man aber: Wenn man diese Förderungen nicht in Anspruch nimmt, tun es andere, die damit weniger sinnvolle Dinge machen. Und dann beginnt man umzudenken. Jede und jeder muss für sich selbst entscheiden, wie man dazu steht. Aber solche Mittel ermöglichen nun mal kreative Freiheit, machen unabhängiger von Lohnarbeit – das ist wichtig und sollte nicht unterschätzt werden.

BK | Kunstschaffende sollten sich auch nicht genieren, Förderungen in Anspruch zu nehmen. In einem Staat ist ja meist genug Geld da – es wird halt nicht so gut verteilt.

JE | Und Wünsche abseits von Geld?

BK | Ich wünsche mir, dass die Leute ihr Konsumverhalten hinterfragen – insbesondere in Bezug auf Plattformen wie Spotify oder Amazon: weniger Abos und Shopping bei den Tech-Giganten, dafür mehr – eben auch finanzielle – Wertschätzung für lokale, kleinere Projekte.

SSch | Es wäre schön, wenn mehr Menschen erkennen, wie viel Selbstwirksamkeit sie haben, wenn sie zusammen arbeiten und leben. Solche Erfahrungen sind wertvoll, und ich wünsche mir, dass es mehr Räume und Möglichkeiten gibt, das auszuprobieren. Gerade junge Leute sollten da unterstützt werden.

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