Warum deutsche Konzerne für pakistanische Flutopfer zahlen sollen

von Benjamin Opratko

Kleinbäuerinnen und Kleinbauern aus Pakistan fordern von den Großkonzernen RWE und Heidelberg Materials Schadensersatz für eine Flutkatastrophe, die ihre Lebensgrundlage zerstört hat.


1387 wörter
~6 minuten

Im September 2022 setzte eine beispiellose Flutkatastrophe ein Drittel Pakistans unter Wasser und machte über 33 Millionen Menschen obdachlos. Die Zerstörungen waren enorm, ganze Dörfer wurden vernichtet, Ernten gingen verloren, und das Land wurde in eine schwere Ernährungskrise gestürzt. Nun haben sich betroffene Kleinbäuerinnen und Kleinbauern aus der Region Sindh organisiert, um Schadensersatz von zwei deutschen Großkonzernen zu fordern. Sie werfen dem Energiekonzern RWE und dem Baustoffkonzern Heidelberg Materials vor, Treibhausgase produziert zu haben, die zur Klimaerhitzung und damit zur Flutkatastrophe geführt haben. Sie stützen sich dabei auf deutsches Zivilrecht und ein simples Prinzip: Wer Schaden verursacht, muss dafür einstehen und den Schaden ersetzen.

Die Bäuerinnen und Bauern werden vom pakistanischen Gewerkschaftsverband (NTUF), der sozial-medizinischen Hilfsorganisation HANDS Welfare Foundation, dem European Center for Constitutional and Human Rights und von der deutschen Menschenrechtsorganisationen medico international unterstützt. TAGEBUCH-Chefredakteur Benjamin Opratko konnte mit Karin Zennig von medico international über die Hintergründe des Falls sprechen.

Benjamin Opratko | Es gab schon viele Klimaklagen, auf europäischer Ebene und in verschiedenen Nationalstaaten. Was ist das das Neue an den Forderungen, die nun von den Bauern und Bäuerinnen aus Pakistan vor ein deutsches Gericht gebracht werden?

Karin Zennig | Die bisherigen Klagen haben sich auf Szenarien in der Zukunft gerichtet. Da ging es also um zu erwartende Auswirkungen der Klimaerhitzung und etwa um die finanzielle Beteiligung an Schutzmaßnahmen, um künftige Schäden zu reduzieren. In diesem Fall geht es um Schäden durch die Klimakrise, die bereits eingetreten sind. Die pakistanischen Bäuerinnen und Bauern, die wir unterstützen, machen Schadensersatz geltend, weil sie von den der gigantischen Flutkatastrophe 2022 selbst betroffen waren und an deren Folgen bis heute leiden. Sie fordern die Unternehmen auf, ihre Verantwortung anzuerkennen und sich angemessen an den Kosten zu beteiligen. Und sie wollen damit Ursachen und Verantwortliche adressieren. Wir unterstützen sie dabei, auch um den Kreislauf von Zerstörung und Wiederaufbau, abermaliger Zerstörung und abermaligem Wiederaufbau zu durchbrechen. Die Bäuerinnen und Bauern, die jetzt als Anspruchsteller auftreten, werden aber auch von tausenden Menschen aus ihren Dörfern in Pakistan unterstützt, die dieses Schicksal und die Erfahrung mit ihnen teilen.

BOP | Im Westen wurde die Flutkatastrophe 2022 zwar wahrgenommen, heute erinnert aber kaum noch jemand daran. Was ist damals passiert und was waren die Folgen?

KaZ | 2022 setzten extreme Regenfälle während der Monsun-Saison etwa ein Drittel des Landes Pakistan komplett unter Wasser. Man kann sich das kaum vorstellen: Es entstand eine zusammenhängende Wassermasse auf einer Fläche, die ungefähr zwei Drittel der Fläche Deutschlands entspricht. Es war wie ein kleiner Ozean, der sich gebildet hatte und nicht nur für ein paar Tage, sondern für Monate, zum Teil bis zu einem Jahr stehen blieb. Die Menschen sind auf Erhöhungen geflohen, auf Dämme, Straßen, Wälle, auf die Dächer ihrer Häuser, und mussten dort bleiben. Sie lebten buchstäblich auf neu entstandenen Inseln inmitten der Wassermassen und waren über Wochen und Monate nicht nur von ihrem Besitz und ihren Lebensgrundlagen, sondern auch von anderen Menschen isoliert. Als sie dann zurückkehrten, war alles zerstört. Man muss sich vor Augen führen: Vor vier Jahren gab es die Überschwemmung des Ahrtals in Deutschland, in einer der reichsten Industrienationen der Welt, und dort ist immer noch nicht alles wieder aufgebaut. Pakistan ist eines der bevölkerungsreichsten, Länder der Welt, aber auch ein sehr armes Land, das schon vor der Katastrophe mehrmals kurz vor dem Staatsbankrott stand. Alleine der unmittelbare Schaden durch die Überschwemmung belief sich auf 30 Milliarden US-Dollar. Hier fehlen die Kapazitäten für Wiederaufbau und Schutz, der notwendig ist.

»Es war wie ein kleiner Ozean, der sich gebildet hatte«.

BOP | Pakistan ist schon jetzt besonders stark von der Klimaerhitzung betroffen. Macht es das zu einem drohenden Beispiel für die Zukunft auch anderswo?

KaZ | Ja, in Pakistan sehen wir eine Realität, die uns auch anderenorts drohen wird, wenn die CO2-Emissionen weiter ansteigen. Die Region ist damit Schauplatz sowohl für die Zerstörung als auch für die möglichen Umgangsweisen damit. Da geht es nicht nur um die unmittelbaren Zerstörungen, sondern um die langfristige Zerstörung der Lebensgrundlagen. Durch die von Menschen gemachte Klimakrise erleben wir die Entstehung von Weltregionen, die zukünftig eigentlich nicht mehr bewohnbar sind.

BOP | Wie ist es zur Entscheidung der Bäuerinnen und Bauern in Pakistan gekommen, Schadensersatz zu fordern? Wie sind diese vielen Betroffenen vor Ort organisiert?

KaZ | Wir arbeiten als medico international schon über 15 Jahre mit Partnerorganisationen, die in den Dörfern sind und dort Nothilfe leisten, Wiederaufbaumaßnahmen und Katastrophenschutz organisieren. Diese Arbeit ist in einer Gegend, die von feudalen und patriarchalen Strukturen geprägt ist, immer auch community-basierte Organisierungs- und Demokratisierungsarbeit. Die Menschen dort wollen keine Hilfsempfänger:innen sein, sondern ihre Realität selbstgestalten. Es gibt in den Dörfern Komitees, die sich selbst über ihre Bedarfe verständigen, Konflikte aushandeln und Forderungen formulieren. Sie organisieren selbst Maßnahmen, um sich zu schützen, etwa indem sie Saatgut speichern oder den Verkauf ihre Ernten koordinieren, um sich nicht gegenseitig auf den Märkten kaputt zu konkurrieren. Aber all diese Bemühungen und Maßnahmen werden von einer Katastrophe wie der Flut von 2022 mit einem Schlag zunichte gemacht. Die Leute werden nicht nur ökonomisch getroffen, sondern auch in ihrem Entwicklungsprozess um Jahrzehnte zurückgeworden. Man kann die Aufbauprozesse nicht immer wieder wiederholen, das ist nicht nur materiell, sondern auch psychologisch eine Zumutung. Vor diesem Hintergrund haben die Komitees als gewählte Strukturen aus den Dörfern heraus die Entscheidung getroffen, Schadensersatz zu fordern, und wir haben sie dabei unterstützt.

In Dorfkomitees wurde die Entscheidung getroffen, sich an ein deutsches Gericht zu wenden.

BOP | Die Forderungen nach Schadensersatz richten sich gegen zwei konkrete deutsche Unternehmen. Warum gerade gegen sie?

KaZ | Die Forderungen richten sich gegen den Energiekonzern RWE und den Baustoffkonzern Heidelberg Materials, zwei der größten deutschen CO2-Emittenten. Beide haben eine sehr lange Unternehmensgeschichte, wurden Ende des 19. Jahrhunderts gegründet. Was sie zu besonders geeigneten Adressaten macht ist die Tatsache, dass diese Unternehmen schon lange über die dramatischen Konsequenzen des CO2-Ausstoßes Bescheid wussten, an ihrem Geschäftsmodell aber festgehalten haben. Die Unternehmen kommen damit ihrer Sorgfaltspflicht gegenüber Mensch und Umwelt nicht nach. Damit stehen sie auch exemplarisch für eine Produktionsweise, die Profite generiert, indem sie sozial-ökologische Kosten an andere Orte der Welt auslagert.

Als das Wasser zurückging, blieb die Zerstörung. Vor der Flut standen hier Reisfelder.

BOP | Was wird nun von diesen Unternehmen konkret gefordert?

KaZ | Die Bäuerinnen und Bauern fordern von RWE und Heidelberg Materials einen anteiligen Ersatz für ihre Schäden von rund einer Million Euro, der ihnen durch den Ausfall ihrer Ernten entstanden ist. Sollten die Unternehmen auf die Forderungen der Betroffenen nicht eingehen, folgt ein Gerichtsprozess, mit dem die Betroffenen die Übernahme von Verantwortung für die globalen Folgen jahrzehntelanger Unternehmensentscheidungen einfordern.

BOP | Pakistanische Bäuerinnen verklagen deutsche Großkonzerne – das klingt nach einem extrem ungleichen Match. Können die Kläger:innen da überhaupt etwas gewinnen?

KaZ | Der Anspruch, der nun eingebracht wurde, bezieht sich auf Paragraph 823 des Bürgerlichen Gesetzbuches, also auf deutsches Recht. Das ist der erste Fall dieser Art in Deutschland, bei dem Menschen aus dem globalen Süden, die von schweren Klimaschäden betroffen sind, Schadensersatz einfordern. Insofern ist es natürlich schwierig, eine Prognose über die weitere Entwicklung anzustellen. Das Recht hat sich in dieser Hinsicht aber durchaus weiterentwickelt. Wir hatten erst dieses Jahr in Deutschland den Urteilsspruch im spektakulären Fall Huaraz, als ein peruanischer Bauer RWE verklagt hat, weil durch den Klimawandel sein an einem Gletschersee liegendes Haus bedroht sei. Das Gericht hat zwar negativ entschieden, weil die konkrete Gefahr für das Haus als nicht hoch genug eingeschätzt wurde. Zugleich hat es aber festgestellt, dass Unternehmen grundsätzlich für die Folgen der von ihnen verursachten Treibhausgasemissionen haftbar gemacht werden können. Auf internationaler Ebene hat der Internationale Gerichtshof kürzlich in einem Rechtsgutachten die Position eingenommen, dass Klimaschutz eine völkerrechtliche Verpflichtung für Staaten ist, die auch beinhalten kann, einzelne Akteure durch politische Regulierungen auf die Übernahme von Verantwortung für durch sie verursachte Schäden zu verpflichten.

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