Nach dem gescheiterten Kopftuchverbot an Volksschulen, das der Verfassungsgerichtshof als diskriminierend einkassierte, legen ÖVO, SPÖ und Neos das Projekt nun im größeren Maßstab wieder auf: Nun soll das Verbot Mädchen bis 14 Jahre treffen, in öffentlich wie privaten Schulen gelten und von harten Sanktionen begleitet werden: Bis zu 1.000 Euro soll Eltern die neu geschaffene Verwaltungsstrafe kosten. Als Begründung wird der Schutz von Mädchen vor patriarchaler »Ehrkultur« genannt. Tatsächlich ist sie ein Vorwand für Ausschluss, Disziplinierung und symbolische Bestrafung einer ohnehin stigmatisierten Minderheit taugt.
Man kann das Unbehagen verstehen, das viele Linke und Liberale gegenüber religiösen Symbolen empfinden. Man kann auch diskutieren, wie die Schule als Raum allgemeiner Bildung weltanschaulich neutral organisiert werden soll. Doch das ist nicht das Thema des vorgelegten Gesetzesentwurfs. Es ist auch keine Debatte über Pädagogik. Es ist der Versuch, ein politisches Projekt der Ungleichheit als Kinderschutz zu maskieren.
Nicht nur Taktik gegen rechts
Dazu muss man begreifen, dass das Kopftuch schon lange als Markierung eingesetzt wird, um Musliminnen als problematisch und von der Norm abweichend zu behandeln. Ihre »abweichende« Subjektivität soll durch staatliche Maßnahmen in Konformität überführt werden. In der politischen Semantik nennt man das eine Exklusionslogik: Zugehörigkeit wird nicht entlang sozioökonomischer Rechte verhandelt, sondern entlang kultureller Konformität mit einer imaginierten Mehrheitsnorm. Das ist Teil eines verfestigten europäischen Trends, vom Burkini-Theater an französischen Stränden bis zu regionalen Kopftuchverboten in deutschen. Die Wahrheit ist: Antimuslimischer Rassismus ist nicht Betriebsunfall liberaler Demokratien, sondern eine verwertbare Ressource in Zeiten brüchiger Hegemonie. Wo soziale Sicherheiten zerfallen, wird Ordnung zur Ideologie; sichtbare Minderheiten sind dabei die bequemen Objektträger moralischer Panik.
In Österreich ist die Lage exemplarisch. Der hegemoniale Islamdiskurs wurde über mindestens eine Dekade systematisch dahin gelenkt, wo er heute steht: vom Vollverschleierungsverbot 2017 über das gescheiterte Kopftuchverbot an Volksschulen bis zur nun vorgesehenen Verbotsausweitung. Dafür sind nicht nur die Rechten verantwortlich. Die jüngsten Regierungspläne wurden schließlich im Herzen der Anti-Kickl-Koalition formuliert. Wer das als Taktik gegen die FPÖ abtut, verwechselt Nachahmung mit Abgrenzung — und verkennt, dass die politische Mitte mit dieser Mimesis die Vorarbeit für die nächste autoritäre Welle leistet. Das Kopftuchverbot bietet billige Symbolpolitik: hohe Sichtbarkeit, niedrige fiskalische Kosten, klare Feindmarke. Wer die Rechte domestizieren will, indem er ihre Identitätspolitik kopiert, baut aber keine Brandmauer — er legt die Verkabelung für den kommenden Brand.
Wer Schutz verdient
Die Schutzrhetorik verdient es, beim Wort genommen zu werden. Wenn Schutz das Motiv wäre, dann müsste die Politik jene Menschen schützen, die tatsächlich verletzlich sind. Dazu zählen muslimische Kinder und Jugendliche ohne Zweifel. Sie erleben Rassismus, ihre Bildungsbiografien sind durch Stigmatisierung belastet, ihre Familien werden medial als kulturelle Problemaggregate verhandelt. Österreich weist im europäischen Vergleich hartnäckig hohe islamfeindliche Einstellungen auf; schon 2019 zeigte der Salzburger Soziologe Wolfgang Aschauer, dass erhebliche Teile der Bevölkerung Einschränkungen der Religionsfreiheit für Muslime befürworten und muslimische Einrichtungen überwacht sehen wollen. In dieses Klima hinein ein Verbot zu setzen, ist kein neutrales Regulierungsdetail — es ist ein staatliches Stigma-Signal. Es verschiebt die Grenzen des Sag- und Machbaren weiter zu Ungunsten einer Minderheit, deren Rechte formal auf dem Papier bestehen, praktisch aber an der Kante symbolischer Entwertung bröseln.
Die pädagogische Rationalisierung — »Kinder sollen ohne religiösen Druck aufwachsen« — ist intellektuell bequem und politisch kurzschlüssig. Erstens, weil sie religiöse Sozialisation allein als Last, nicht als Ressource beschreibt; zweitens, weil sie so tut, als ließe sich der Staat neutral zur familiären Lebenswelt positionieren, während er in Wahrheit eine spezifische kulturelle Norm privilegiert (die christlich-abendländische Unsichtbarkeit als „Nicht-Religion“). Drittens, weil sie den paradoxen Effekt ausblendet: Wer das Kopftuch in der Schule verbietet, zwingt Mädchen in Loyalitätskonflikte, verschiebt die Entscheidung ins Elternhaus und bestraft am Ende genau jene, die der Staat zu schützen vorgibt. Das Ergebnis ist nicht Autonomie, sondern autoritärer Paternalismus.
Wer meint, mit einer Bekleidungsvorschrift die Kinder vor patriarchalen Zwängen zu schützen, scheitert aber nicht nur faktisch, sondern wohl auch juristisch. Schon das erste Kopftuchverbot wurde als diskriminierend aufgehoben, weil es de facto nur muslimische Symbole traf, Kippa oder Patka aber »nicht intendiert« waren. Wer heute die Neuauflage fordert, ignoriert nicht nur diese verfassungsrechtliche Diagnose, sondern normalisiert eine asymmetrische Säkularität, in der nur eine bestimmte Religionsgemeinschaft von staatlicher Regulierung betroffen sein soll. Das ist die Institutionalisierung eines doppelten Standards — und es ist der Stoff, aus dem autoritäre Liberaldemokratien gemacht werden.
Linke Blindstelle
Teile der Sozialdemokratie, Liberale und nicht wenige Linke stellen sich offen oder schweigend hinter das Verbot. Der rote Faden: ein verkürzter Laizismus, der die französische Laïcité zur universalen Norm erhebt, ohne ihre Deutungskämpfe (und ihren missbräuchlichen Einsatz gegen muslimische Sichtbarkeit) mitzudenken. Dazu gesellt sich eine biografisch verständliche, aber politisch folgenreiche Abneigung gegen konservative Geschlechterleitbilder, die dann kurzerhand auf muslimische Kontexte übertragen wird, ohne die reale Pluralität muslimischer Lebensweisen in Österreich anzuerkennen. Die Folge ist eine » progressive« Disziplinierung: Ausgerechnet jene, die soziale Gleichheit predigen, diktieren einer Minderheit, wie Emanzipation auszusehen hat — und delegitimieren jede Abweichung als »falsches Bewusstsein«. Ihre Solidarität endet dort, wo muslimische Subjekte nicht als säkular-feministische Akteure auftreten, sondern als religiöse Bürgerinnen, die Sichtbarkeit nicht ablegen wollen.
Das mag hart klingen. Aber genau hier entscheidet sich, ob Universalismus mehr ist als bloße Rhetorik. Entweder verstehen wir Grundrechte als unbedingt und allen Menschen zustehend — auch wenn sie ästhetisch anecken, religiös markiert sind oder kulturelle Dissonanz erzeugen. Oder der Universalismus verkommt zur Mehrheitsästhetik, die das Recht an die Bedingung der Anpassung knüpft. In letzterem Fall unterscheidet sie sich von der Rechten weniger im Prinzip als im Tonfall.
Fünf Dinge, die getan werden können
Was folgt daraus strategisch? Erstens: den Kontext nicht als Fußnote behandeln, sondern als Argumentationskern. Der Kontext sind die dokumentierten anti-muslimischen Einstellungen; der Kontext sind reale Übergriffe; der Kontext ist die seit Jahren betriebene staatliche Rahmung muslimischer Präsenz als Sicherheits-, Integrations- oder Ordnungsproblem. Ein Verbot wirkt in diesem Feld nicht neutral, sondern eskalierend. Zweitens: Rassismuskritik als Methode ernst nehmen. Das heißt, nicht die individuellen Intentionen von Lehrerinnen, Sozialarbeiterinnen oder Politikerinnen zu moralisieren, sondern die Struktur sichtbar zu machen, in der der Staat das muslimische Subjekt als pädagogischen Fall produziert. Drittens: universelle Grundrechte nicht opportunistisch interpretieren. Religionsfreiheit, Gleichheit vor dem Gesetz und Schutz vor Diskriminierung sind kein Buffet. Wer sie zur Disposition stellt, weil ihm die konkrete Praxis religiöser Lebensführung missfällt, sägt an dem Ast, auf dem alle Minderheiten sitzen.
Viertens: das soziale Problem beim Namen nennen. Wenn Linke wirklich etwas für Mädchen tun wollen, dann sollten sie deren materielle Lebensverhältnisse stärken: Sprach- und Lernförderung, psychosoziale Unterstützung, armutsfeste Familienleistungen, schulische Ressourcen. Wer glaubt, kulturelle Konflikte ließen sich autoritär »lösen«, übersieht, dass autoritäre Lösungen soziale Konflikte verschärfen. Die Alternative ist konfliktfähige Demokratie: aushalten, argumentieren, schützen — und zwar die Rechte, nicht die Norm. Fünftens: die eigene Szene adressieren. Linke, die — aus laizistischer Stringenz oder feministischer Ungeduld — Verbote mittragen, sollten sagen, was es ist: eine Grenzziehung gegen eine Minderheit. Sie sollten erklären, warum sie im Namen der Emanzipation eine staatliche Maßnahme befürworten, die empirisch in ein Klima der Abwertung einfällt und verfassungsrechtlich bereits einmal als diskriminierend erkannt wurde. Und sie sollten sich fragen, warum ihre Solidarität mit muslimischen Menschen so oft an Bedingungen geknüpft ist.
Der Punkt ist nicht, das Kopftuch zu romantisieren oder patriarchale Strukturen zu leugnen. Der Punkt ist, dass Emanzipation kein Projekt ist, das man gegen die Subjekte durchsetzen kann, die sie betrifft. Sie ist widersprüchlich, langsam, oft unästhetisch. Der Staat kann Rahmen setzen — aber wenn er anfängt, Sichtbarkeit zu bestrafen, verliert er den demokratischen Kompass. In Zeiten multipler Krisen ist das nicht Randfrage, sondern Systemtest: Eine Linke, die ausgerechnet hier einknickt, verliert den Anspruch, universal zu sprechen.
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