Der 5. November: Ein Feiertag für das Klima?

von Kilian Jörg

Eine künstlerische Initiative will mit der Ausrufung des »Zwentendorf-Feiertags« daran erinnern, dass der Kampf für eine bessere Umwelt auch von Hoffnung getragen sein kann.


1132 wörter
~5 minuten

Es scheint eine Ewigkeit her zu sein, dass die Klimabewegung einer Erfolgswelle glich. Noch beim Klimastreik 2019 waren vier Prozent der österreichischen Bevölkerung auf der Straße. Heute prägen andere Themen wie Krieg, KI und Kürzungspolitik die öffentliche Diskussion. Die Klimakrise wird von zynischen Politiker:innen als nervige Wirtschafts- und allgemeine Spaßbremse abgetan und auch in den Medien oft so diskutiert. Obwohl weiterhin große Mehrheiten der Meinung sind, dass mehr Klimaschutz notwendig ist, ist die Atmosphäre geprägt von Zynismus und einer Art Hedonismus der letzten fetten Jahre. Es herrscht Untergangs- statt Aufbruchsstimmung, viele Menschen verkriechen sich, statt zu protestieren.

Hoffnung statt Aufklärung

Das Abebben der Klimabewegung kann auch als Niederlage eines Modells angesehen werden, das auf Aufklärung setzte. So schrieb die »Letzte Generation«, der vielleicht letzte, radikalste und medienwirksamste Ausdruck dieser Mobilisierungsperiode, in ihrer Selbstauflösungsschrift: »Menschen aus der Bevölkerung haben sich für die fossile Verdrängung entschieden. Wir sehen ein, dass Österreich weiter in fossiler Ignoranz bleiben will und damit in Kauf nimmt, für den Tod von Milliarden von Menschen mitverantwortlich zu sein. Die Gesellschaft hat versagt. Uns macht das unendlich traurig.«

Elin Kelsey zufolge, die sich als Forscherin mit »Klimaemotionen« beschäftigt, ist das aktuelle Problem nicht so sehr climate denial, also die Leugnung des Klimawandels, sondern eine Klima-Untergangsstimmung: climate doomism. Kelsey weist außerdem darauf hin, dass das im Klimadiskurs dominierende emotionale Register von Scham und Verzicht tendenziell demobilisierend wirkt. Um dem entgegenzuwirken, schlägt sie vor, statt vom informational gap eher von einem hope gap auszugehen: Wir wissen alle, dass wir uns in der Klimakatastrophe befinden. Was uns fehlt, sind nicht Informationen, sondern Hoffnung. Deshalb tendieren wir zu Verdrängung und Abwehr. Eine neue Welle der Mobilisierung müsste daher versuchen, Menschen aus dem medial aufgebauschten, politisch und wirtschaftlich oft auch gewollten climate doomism zu befreien. Statt Menschen mit langsam langweilig werdenden Untergangsmeldungen in die Paralyse zu schocken, müsste es gelingen, die Möglichkeit von Erfolg plausibel machen und Gefühle der Euphorie und der Gemeinschaft im Kämpfen für eine bessere Welt zu kultivieren.

Ein Blick ins Innere des Reaktors in Zwentendorf.

Leuchtturm Zwentendorf

In Österreich gibt es dafür ein perfektes historisches Beispiel: Die Kämpfe gegen Atomkraft in den 1970er Jahren. Es gibt kaum eine Bewegung, weder in Österreich noch international, die man als so durchschlagend erfolgreich bezeichnen kann wie jene gegen das AKW Zwentendorf. Was ist damals passiert? Obwohl alle großen Parteien und fast alle wichtigen Medienhäuser des Landes anfangs klar für das erste österreichische Atomkraftwerks im niederösterreichischen Zwentendorf waren und das AKW bereits betriebsbereit fertig gebaut war, gelang es der Protestbewegung, dem Staat ein Referendum zu dessen Inbetriebnahme abzuringen. Und obwohl die Regierung und die etablierten Wirtschaftsinteressen viel mehr Kapital und Öffentlichkeit hatten, gelang es der Bewegung, sich mit ihrem Nein durchzusetzen.

Mit einem extrem knappen Ergebnis von 50,4 Prozent sprach sich die Mehrheit der wahlberechtigten Österreicher:innen gegen die Inbetriebnahme das Atomkraftwerks aus. Ein so durchschlagender Erfolg bei so nachteiliger Ausgangslage zeitigte erst im Nachhinein seine Wirkung: Nur wenige Monate später entschied sich die Republik Österreich in der Verfassung zu verankern, dass Österreich frei von Atomkraft bleibt. Heute ist das ein nationaler Konsens, der über jede gesellschaftliche Spaltung hält: Keine politische Partei, ob extrem rechts, »mittig« oder links, würde es heute wagen, öffentlich für Atomstrom einzutreten – ganz einfach, weil solide 80 Prozent der Bevölkerung sich als Gegner:innen von Atomstrom bezeichnen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. In anderen europäischen Ländern, die sich inzwischen für den Ausstieg aus der Atomkraft entschieden haben, wie Schweden oder Deutschland, sind keine vergleichbaren Mehrheiten vorzufinden.

Die feierliche Absage kultivieren

Das Zwentendorf-Referendum zeigt vor allem eins: dass sich eine gut organisierte Bewegung gegen die etablierten Formen der Macht in einer repräsentativen Demokratie durchsetzen kann. Obwohl keine der wählbaren Parteien anfangs gegen Atomkraft war, mussten sie sich letztendlich alle der Bewegung fügen und ihre Haltung ändern. Wenn Parteien und Medien versuchen, die Öffentlichkeit zu spalten, können Bewegungen es schaffen, Spaltungen zu überwinden und einen neuen Konsens herzustellen. Diese Einsicht kann eine Lehre sein, die weit über Zwentendorf hinaus strahlt – und zwar nicht radioaktiv, sondern mobilisierend für einen Kampf um bessere Welten im Klimakollaps.

Der Zwentendorf-Feiertag soll zeigen: Veränderung geht immer zuerst von kleinen Bewegungen aus, die – im Erfolgsfall – die bestehende Ordnung bleibend transformieren. Das ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel: Arbeitslosenversicherung, allgemeine Krankenversicherung, freies Versammlungsrecht, Frauenwahlrecht, Minderheitenschutz oder gewerkschaftliche Rechte sind Errungenschaften von Bewegungen, die lange mobilisieren mussten und oft brutal bekämpft wurden, aber am Ende bleibenden Erfolg hatten.

Heute soll der Zwentendorf-Feiertag die Klima- und Umweltbewegung daran erinnern, dass sich ein erfolgreicher Kampf für eine lebbare Zukunft an konkreten Szenarien ausrichten und Erfolgsmöglichkeiten erschließen muss, an denen sich langsam ein neuer, nachhaltiger gesellschaftlichen Konsens aufbauen lässt. Und er soll auch den Wert der Absage feiern, die es oftmals braucht, um eine realistische und lebenswerte Zukunft zu ermöglichen. Die modernen Versprechen von unbegrenzter Energie, Mobilität und Konsum haben etwas Verführerisches. Doch sie sind auf diesem Planeten einfach nicht realisierbar. Zwentendorf zeigt, dass es nicht individueller Verzicht, sondern eine kollektive Entscheidung sein muss, damit die Absage sich bleibend etablieren kann: Wir haben uns kollektiv entschieden, dass wir dem Versprechen des Atomstroms entsagen. Allein hätte das genauso wenig jemand geschafft, wie einzelne Individuen die Gesellschaft auf den Klimakollaps einstellen können. Wir müssen gemeinsam das Wirtschafts- und Wertesystem ändern, um ein realistisches Szenario des Lebens und Überlebens in der kommenden Zeit als hoffnungsgebende Möglichkeit aufzubauen.

Es wird nicht »die Politik« sein, welche die bitter notwendige Veränderung bringen wird. Es wird eine Bewegung sein, die sich trotz Klimakollaps auf realistische Hoffnungsszenarien einigen kann und diese auch nach außen zu kommunizieren weiß. Der Wert der Absage kann hier eine von vielen Leitlinien sein: so wie wir Zwentendorf, Hainburg und die heute schon fast vergessene Autobahnbrücke über den Neusiedler See gemeinsam abgesagt haben, können wir in Zukunft noch viel mehr falschen Versprechen entsagen. Der Lobautunnel oder die dritte Piste am Flughafen Wien-Schwechat sind hier die bekanntesten aktuellen Fälle in Österreich. So könnte der erste ökologische Feiertag am Tag des Zwentendorf-Referendum der erste von vielen werden, die uns die schon lange von vielen versprochene Arbeitszeitentlastung langsam bringt: der Hainburg-Feiertag am 1. Juli! Der Neusiedler See-Feiertag am 25. Mai! Der (erste) Lobau-Feiertag am 1.12.! (Ein zweiter scheint noch kommen zu müssen.) Die Vergangenheit zeigt uns: Aus dem Wahnwitz der Bewegung lässt sich Hoffnung als allgemein plausible Möglichkeit in der Gesellschaft etablieren. Zwentendorf lehrt uns: Hinter der toxischen Zukunft der modernen Heilsversprechen liegen lebbarere und gemeinschaftlichere Zukünfte. Aus diesem Grund feiern und fordern wir, dass der 5. November Feiertag wird.

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