Vom Politikwissenschafter Walter Manoschek stammt der Satz: »Ich habe nichts gegen die Grünen, aber immer weniger für sie.« Spätestens mit dem Eintritt der Partei in das türkise Regierungsprojekt von Sebastian Kurz ist selbst dieser generöse Befund überholt. Sicherungshaft, Senkung der Körperschaftssteuer, Kopftuchverbot, Asylagentur – angesichts dessen, was die Grünen sich angeschickt haben in den kommenden Jahren mitzutragen, muss man dieser Tage nach der nur einen Sachfrage suchen, in der nicht alles gegen sie spricht. Die Partei hat sich mit ihrer ersten Regierungsbeteiligung auf Bundesebene endgültig überflüssig gemacht.
Diejenigen Teile der gesellschaftlichen Linken, die sich erhofften, mit ihrer Stimme wenigstens eine in Menschen- und Grundrechtsfragen versierte Oppositionskraft in den österreichischen Nationalrat zu wählen, werden sich nach 2017 nun zum zweiten Mal an die Neos halten müssen – Strafe genug. Die vielen umweltpolitischen, antirassistischen und feministischen Initiativen wiederum, die in der Ökopartei eine oft nicht einfache, aber doch beständige Bündnispartnerin sahen, werden feststellen, dass die Grünen die Seiten gewechselt haben. Für alle, deren Sehnsucht nach Veränderung über die bloße Verwaltung der Verhältnisse hinausgeht, oder besser: jenseits davon beginnt, haben sie sich schon vor langer Zeit erledigt.
Der Satz von der »überflüssigen Partei« ist freilich nicht ganz neu. Er geht auf eine Erklärung vom April 1990 zurück, in der 46 Mitglieder des ökosozialistischen Flügels der deutschen Grünen – darunter der frühere Fraktionschef im Bundestag Thomas Ebermann und der ehemalige Bundesvorsitzende Rainer Trampert – ihren Austritt aus der Partei begründeten. »Entgegen unseren Vorstellungen«, schrieben sie damals, »haben die Grünen den Parlamentsbetrieb mit einem weiteren etablierten Exemplar angereichert und sich dadurch überflüssig gemacht.« Und an anderer Stelle: »Die Grünen entschlossen sich in mehreren Etappen, ihre aus den sozialen Bewegungen mitgenommene oppositionelle, gesellschaftskritische und bisweilen kulturrebellische Politik fallenzulassen, um als staatstragende Regierungspartei wirken zu wollen.«
Hierzulande war der Weg kürzer (auch wenn er mehr Zeit in Anspruch nehmen sollte), kam die Entwicklung der Grünen von der Protest- zur Regierungspartei ohne Brüche aus, wie Franz Schandl auf den Seiten 16 bis 20 aufzeigt. »Die Domestizierung der Grünpartei«, schreibt er, »war ein Produkt weniger Jahre, nicht einiger Jahrzehnte wie etwa bei der Sozialdemokratie. Der radikale Impetus war schnell verbraucht und verflogen. Eigentlich schon in den Gründungstagen«. Schandl selbst ist damals dabeigewesen, gemeinsam mit Gerhard Schattauer verfasste er Mitte der 1990er Jahre eine Studie über die Frühzeit der Ökopartei.
Im Rahmen unserer KONTROVERSEN kommentieren Natascha Strobl und Benjamin Opratko zwei weitere Aspekte grüner Politik – die ehedem sozialdemokratische Kerndisziplin, sich für das geringere Übel zu entscheiden (Seite 6),
und die Rechtsstaatsgläubigkeit angesichts fehlender politischer Durchsetzungskraft (Seite 9).
Ulrich Brand geht in seinem Kommentar (Seite 8) unterdessen den Ursachen für den Niedergang der Linksregierungen in Lateinamerika auf den Grund. Jüngstes Beispiel: Bolivien. Unmittelbar nachdem die dortige Militärführung Anfang November Evo Morales aus dem Präsidentenamt gedrängt hatte, machte sich unser Autor Tobias Boos von Buenos Aires aus ins Andenland auf. Seine Reportage aus La Paz / El Alto lesen Sie auf den Seiten 24 bis 29.
Am 20. Dezember letzten Jahres verstarb mit Hermann Gremliza der langjährige Herausgeber der Monatszeitschrift konkret. Richard Schuberth würdigt ihn und die »Methode Gremliza« auf Seite 46. konkret war es übrigens auch, das im Mai 1990 die oben erwähnte Austrittserklärung der Ökosozialisten abdruckte. Das führt uns zurück zu den Grünen. Deren erste Reihe verlegte sich zuletzt aufs Beschwichtigen (Warten wir ab, ob das auch so kommt!), Ermahnen (Die Alternative wäre eine Regierung mit der FPÖ gewesen!) und Appellieren (Wer sein Land liebt, spaltet es nicht!). Wir bleiben lieber grundsätzlich. Diese Regierung ist im Kern die Fortsetzung der 2017 von Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache begonnenen autoritären Wende.
Und natürlich gibt es keine Schonfrist.
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