Gesenkte Blicke, lange Gesichter, rührselige Worte. Grüne Politikerinnen und Politiker sind dieser Tage schwer betroffen, wenn sie sich – wieder einmal – zur von ihnen mitgetragenen menschenverachtenden Politik des türkisen Koalitionspartners äußern müssen. Die unerträgliche Situation der auf griechischen Inseln gefangenen Geflüchteten? Schrecklich! Aber tun können die Grünen nichts. Antrag abgelehnt. Die selbst nach bürgerlich-liberalen Standards ungerechtfertigten Abschiebungen von Schulkindern und ihren Familien, die jahrelang in Österreich gelebt haben? Herzzerreißend! Aber tun können sie nichts. Antrag abgelehnt. Abgesehen von den angeblich hinter den Kulissen an den Bundeskanzler gerichteten Appellen und den seltenen vorsichtigen Seitenhieben in Richtung des Innenministers unternehmen die Grünen wenig, um ihren ohnehin geschädigten Ruf als »Menschenrechtspartei« aufrechtzuerhalten.
Nein, so gebrochen sind die Herzen auch wieder nicht von den Bildern der von Wind und Wetter zerfetzten Zeltplanen, unter denen tausende geflüchtete Menschen seit Monaten und Jahren auf Lesbos ausharren müssen. Die Schülerinnen und Schüler, die mitten in der Nacht unter Tränen die Ausfahrt des Abschiebezentrums blockierten, um den Konvoi zu verhindern, der die zwölfjährige Tina und ihre Familie zum Flughafen brachte, inspirierten grüne Abgeordnete zwar zu emotionalen Vorträgen über das unwürdige Geschehen, aber leider nicht dazu, etwas an der Situation zu ändern.
Natürlich könnten die Grünen etwas tun. Sie sind in der Regierung, sitzen buchstäblich an den Hebeln der Macht und könnten handeln. Sie könnten als Abgeordnete mit strafrechtlicher Immunität eine Abschiebung sogar höchstpersönlich aufhalten, wenn sie das wollten. Sie könnten Anträgen der Opposition zustimmen und eigene Anträge stellen. Das wäre Koalitionsbruch? So what? Was muss noch passieren, damit es ihnen reicht? Diese Frage stellt sich nicht nur in der Asyl- und Menschrechtspolitik, sondern auch hinsichtlich der Korruptionsvorwürfe gegen Finanzminister Gernot Blümel. Alles, was von den grünen Positionen übrig ist, ist das 1-2-3-Ticket.War das der Deal Ende 2019? Ein Öffi-Ticket im Austausch gegen alle vermeintlichen ideologischen Überzeugungen? Wie billig.
Die Grünen haben sich selbst aufgegeben. Das wissen sie auch. Manchen von ihnen tut das bestimmt mehr weh als anderen. Sicher, nicht alle Parteimitglieder werden mit der Arbeit der Bundesgrünen einverstanden sein, aber: Wem nutzt das? Wer sich in Regierungsfunktion immer wieder aktiv an der gewaltvollen Durchsetzung der rassistischen Abschottungs- und Asylpolitik beteiligt, die für Profit und Macht mehr und mehr Elend nicht nur an den EU-Außengrenzen produziert, sollte sich seine Krokodilstränen sparen.
Wer diese berechtigte, nein, notwendige Kritik ausspricht, muss damit rechnen, nach allen Regeln der Kunst der moralischen Erpressung angemault oder mit Ausreden abgespeist zu werden, welche die Abgeordneten doch selbst nicht mehr ernst meinen können. Auf die Frage, warum die Grünen die Koalition mit der ÖVP nicht sprengen würden, heißt es, dass man »Sebastian Kurz den Gefallen nicht tun« werde. Hören sie sich eigentlich noch selbst zu?
»AM ENDE MUSS MAN SICH SOGAR VORWERFEN LASSEN, DASS MAN MIT LINKER KRITIK NUR DIE RECHTEN STÄRKE. SCHLIESSLICH WÄREN ›WIR‹ MIT DER FPÖ ALS REGIERUNGSPARTNERIN DER KANZLERPARTEI WESENTLICH SCHLECHTER DRAN! JA, INWIEFERN EIGENTLICH?«
Wer sich mit bloßen emotionalen Statements als Reaktion auf die für unzählige Menschen existenzbedrohende Politik nicht zufriedengibt, muss sich am Ende sogar vorwerfen lassen, dass man mit linker Kritik nur die Rechten stärke. Wieder dieser Spin: Schließlich wären »wir« mit der FPÖ als Regierungspartnerin der Kanzlerpartei doch wesentlich schlechter dran! Ja, inwiefern eigentlich? Befriedigende Antworten gibt es auf diese Frage wenig überraschend nicht.
Es ist offensichtlich, dass sich viele Grüne persönlich angegriffen fühlen, weil ihr lange hinter einer Weltverbesserer-Fassade verstecktes bürgerliches Machtstreben und ihr plumper Karrierismus immer deutlicher zum Vorschein kommen. Von Linken als klassenfeindlich abgelehnt, wird der Kurs der Grünen nun auch von Linksliberalen zumindest hinterfragt. Unterstützung kommt vermehrt von Konservativen, mit denen sie sich nicht nur im Bund gut verstehen. Das ist keine rein österreichische Entwicklung. Auch in Deutschland haben die Grünen mit der politischen Macht, die sie gewonnen haben, ihre früheren Ideale ausgetauscht.
Das durch die relativ junge Parteiengeschichte und jahrelange Oppositionspolitik bedingte Underdog-Image der Grünen bröckelt also. Sie sind es nicht gewohnt, nicht mehr als »one of us« wahrgenommen zu werden. Selbst in liberalen Diskursen haben sie mancherorts ihren Status als parteipolitische Darlings eingebüßt. Private Verbindungen und Allianzen mit der Zivilgesellschaft haben sich verschlechtert oder konnten aufgrund der wachsenden Differenzen nicht aufrechterhalten werden. Personen in derartigen Machtpositionen können nie »one of us« sein. Die herrschende Klasse wird sich mit ihrer Politik immer gegen die von ihr Beherrschten richten, um ihre Dominanz und Hegemonie zu wahren. Sie kann nicht auf der Seite der Ausgebeuteten und Unterdrückten sein, ohne sich dadurch selbst abzuschaffen. Deshalb kann es auf ihrer Seite auch keine Selbstreflexion anhand einer Systemkritik geben.
Die Diskussion mit den und über die Grünen verlässt die moralische Dimension deshalb kaum. Es ist außerdem der Individualisierungstendenz des Neoliberalismus geschuldet, dass menschenverachtende Politik nicht auf systemischer, sondern vor allem auf individueller und emotionaler Ebene debattiert und kritisiert wird. Dass es in Österreich noch dazu eine nicht zu unterschätzende Verhaberung von Politik und Medien gibt, erschwert eine kritische Betrachtung noch zusätzlich. Dabei wird geschlossener Widerstand von unten mit jedem Tag, den die Corona-Krise länger dauert, drängender. Das Elend vergrößert sich, während die Grenzen des Erträglichen verschoben und erweitert werden. Zu politischen Konsequenzen kommt es kaum.
Die Rolle der Grünen in der Koalition ist jedenfalls klar: Sie geben der rohen Bürgerlichkeit der ÖVP einen klimafreundlichen Bobo-Anstrich. Ihre Unzufriedenheit damit scheint sich in Grenzen zu halten. Was sollte die Grünen nach allem, was sie bisher durchgehen haben lassen, auch noch umstimmen?
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