Es reicht ein Dieselaggregat, um Andreas Brichs Dilemma zu versinnbildlichen. Vom BMW-Werk im oberösterreichischen Steyr, dem Brich als Arbeiterbetriebsrat vorsteht, schippert so ein Aggregat in die USA, ins 7.600 Kilometer entfernte Werk Spartanburg, South Carolina. Zurück nach Europa kommt es im Innern eines BMW X6, ein Fortbewegungsmittel, das eher an eine Jacht als an einen Pkw erinnert. In der Logik globalisierter Warenströme ein nur allzu alltäglicher Vorgang.
Seit Brich 1987 als Anlagenmonteur bei BMW Steyr zu arbeiten begann, verfolgt ihn ein Slogan: »Die Arbeitskosten sind zu hoch!« Und weil es die Arbeitskosten mindert, überquert so ein Dieselaggregat aus Steyr eben zweimal den Atlantik, bevor es in einem SUV über europäische Straßen poltert. Gleichzeitig sind die Erwartungen an BMW heute hoch, die eigene Produktion zu ökologisieren, die CO2-Normen der EU zu erfüllen und nicht zu den Buhmännern der Umweltpolitik zu werden. Brich sagt einen Satz, den man dieser Tage selten hört: »Das sind Dinge, über die die Beschäftigten und ich derzeit viel mehr nachdenken als über die Corona-Krise.«
Der alltägliche Spagat, den der Betriebsrat vollziehen muss – die Interessen der Beschäftigten auf der einen, Umweltschutz auf der anderen Seite – ist einer, der für die Herausforderungen der gesamten Automobilbranche steht: Verkehr und Industrie verursachen hierzulande einen Großteil der Gesamtemissionen – und in kaum einer anderen Branche ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad so hoch. Historisch betrachtet ergibt sich ein Muster: Umweltpolitik war in Gewerkschaften stets Thema, wurde aber in wirtschaftlichen Krisenzeiten regelmäßig dem sozialen Kerngeschäft geopfert. Es sind Wirtschaftskrisen wie die jetzige, die als Seismograf des Umweltbewusstseins der Arbeitnehmervertretungen fungieren, die zeigen, ob Umweltschutz heute ernstes Anliegen oder bloßes Luxusgut nebst dem Kampf um Lohnerhöhungen ist.
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