Ohnmacht und Phantasie
von Erich Hackl
EUR 18,00 (AT), EUR 18,00 (DE), CHF 22,00 (CH)
Karl Wimmler hat ein Faible für Stakkatosätze. Das ist, abgesehen vom inflationären Gebrauch des Umstandsworts »naturgemäß«, schon das Einzige, das man ihm austreiben möchte: weil sie ein unnötiges, und untaugliches, Mittel darstellen, die Dramatik des Mitgeteilten zu betonen. Eine seiner Stärken besteht ja ohnehin in der Kunst, Lebensgeschichten präzise, unaufgeregt und anschaulich zur Sprache und auf den Punkt zu bringen. Die zweite, dass ihm das, paradoxerweise, gerade deshalb so gut gelingt, weil er nicht geradlinig erzählt, sondern Umwege in Kauf nimmt, sich Abschweifungen, Exkurse und Zeitsprünge gestattet. Die dritte, dass er politisch integer, klug, zur Freundschaft begabt ist, und dass sich diese Tugenden auch in seiner Literatur niederschlagen.
Dem vorangestellten Credo entsprechend: »Das Lokale, Regionale überschreitet – wenn es nicht provinziell verkommen will – ständig seine unmittelbaren Grenzen«, wurzeln Wimmlers Prosastücke in der eigenen Familiengeschichte ebenso wie in den Erinnerungen an Schulfreunde und ehemalige Genossen oder mediale Begegnungen mit allerlei Führungskräften unterschiedlichen Alters, die es – wie man landläufig sagt – zu etwas gebracht haben: ein gefürchteter Sektionschef, ein dubioser Oberlandesgerichtsrat, ein biederer Landesrat, ein zynischer Wirtschaftsexperte, eine dümmliche Landwirtschaftsministerin, ein vom Maoismus zur Islamophobie und zum Antikommunismus konvertierter Diplomat und Sachbuchautor. Es geht dem Autor nicht darum, mit dieser akademischen Brut abzurechnen; beachtenswert erscheint sie ihm hinsichtlich der gesellschaftlichen Relevanz ihrer Charaktereigenschaften, die sich in Opportunismus, Feigheit und Brutalität, bei Bedarf auch in Selbstmitleid erschöpfen. Und natürlich im Klassenhass, nämlich dem der Herrschenden auf die Beherrschten. An einer Stelle würdigt Wimmler den weithin vergessenen Prager Schriftsteller F. C. Weiskopf. Das Voltaire-Zitat, das Weiskopf seiner Anekdotensammlung über unerhörte Begebenheiten während der Naziherrschaft vorangestellt hat, könnte als Motto auch über Wimmlers Erzähl- und Essayband stehen: »Wer das Verbrechen pardoniert, wird des Verbrechens Komplize.«
Obwohl er durchgehend als Erzähler in Erscheinung tritt, stellt Wimmler sich nie in den Vordergrund; die einzige Autorität, die er sich anmaßt, ist die des Chronisten, der Zusammenhänge herstellt – zwischen dem pensionierten Sektionschef zum Beispiel, der in einem Zeitungsartikel die aufständischen Matrosen von Cattaro, von Anfang Februar 1918, als Verbrecher hinstellt, und einer alten Frau in Kotor, die noch sechzig Jahre nach den Ereignissen vom Schicksal der Rebellen erschüttert ist, die auf dem Weg zur Hinrichtung an ihrem Elternhaus vorbeigetrieben wurden; oder zwischen dem ahnungslosen steirischen Kulturlandesrat, der bei der Eröffnung der Ausstellung »Stille Helden retten Genter Altar«, 2018, ins Blaue hinein schwadroniert, und diesen ungenannten Helden, den österreichischen Widerstandskämpfern um Sepp Plieseis; oder zwischen dem tschechoslowakischen Studenten Jan Pallach, der sich aus Protest gegen die Okkupation seines Landes durch die Truppen des Warschauer Pakts selbst verbrannt hat, und dem Hamburger Lehrer Hartmut Gründler, der sich zehn Jahre später auf die gleiche Art töten sollte, aus Verzweiflung über die Atomkraftpolitik der westdeutschen Regierung. Dabei stellt Wimmler eine Frage, die angesichts der Vergeblichkeit kollektiver Anstrengungen wieder traurige Aktualität gewinnen wird: »Wann kommt für jemanden der Punkt, wo die Ohnmacht, die zum Äußersten empfundene Machtlosigkeit, so massiv, so dominant empfunden wird, dass sie umschlägt in die Allmachtsphantasie zu glauben, durch eine einzelne autoaggressive Tat den Gang der Gesellschaft, des Staates, der Welt gravierend ändern zu können?«
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