Der französische Kulturphilosoph Pierre Nora beschrieb Denkmäler als »Ewigkeitsillusionen«. Folgt man diesem Ansatz, so kommt der Sturz einer Statue einer narzisstischen Kränkung gleich. Die Demontage entlarvt die Hoffnung als Trugbild, dem Tod wenigstens potenziell ein Schnippchen schlagen zu können, indem man sich in der Erinnerung der anderen festsetzt. Hier liegt ein wesentlicher Grund für den emotionalen Gehalt von Denkmaldebatten: Der Ikonoklasmus zerschmettert nicht nur die Heiligen der alten Herrschaft, er wirft uns vor allem zurück auf die knappe Zeit, die uns bleibt, bevor wir im Nichts verschwinden. Die Entfernung eines Denkmals wird als symbolischer Mord gedeutet und provoziert daher oft den Widerstand derjenigen, die mit der in Stein gehauenen Person an sich wenig verbindet.
Vor diesem Hintergrund ist das erste Gebot eine Rationalisierung der Debatte: Denkmäler sind keine Geschichtsbücher, sondern hegemoniale Symbolsysteme. Als solche haben sie eine klare politische Funktion. Indem sie historische Persönlichkeiten ehren, würdigen sie deren Taten und betten sie in einen größeren Zusammenhang von Hierarchie und Werthaltungen ein. Nichts ist daher abwegiger, als den Sturz von Denkmälern zur »Auslöschung« von Geschichte erklären zu wollen. Solide alphabetisierte Gesellschaften beziehen geschichtliches Wissen zum Glück nicht aus Denkmälern. Zur Diskussion steht nicht die Geschichte, sondern ihre Bewertung durch das Denkmal. Die jüngst verstorbene Schriftstellerin und Auschwitzüberlebende Ruth Klüger erkundigte sich einmal sarkastisch, ob die mehrfache Ehrung Karl Luegers im Stadtbild denn niemandem »wenigstens ein bissl peinlich« sei. Klüger war unverdächtig, durch ihre Infragestellung des Lueger-Denkmals den Antisemitismus vergessen machen zu wollen. Ihr ging es im Gegenteil darum, dessen Hass- und Hetzpolitik in der Beurteilung seiner Person endlich angemessen zu berücksichtigen. Was also tun? Im Grunde ist es ganz einfach: Es geht darum, dem Lueger-Denkmal seinen ehrenden Charakter zu nehmen. Entweder findet sich ein Weg, dessen zynische Niedertracht sichtbar zu machen – oder man tut das Naheliegendste, jedenfalls wenn der in Sonntagsreden salbungsvoll ausgerufene Kampf gegen Antisemitismus ernst gemeint ist: Man holt den Karl von seinem Sockel. Sein Beitrag zur Geschichte dieser Stadt soll dabei keineswegs unterschlagen werden. So wäre gut vorstellbar, die Statue, die jetzt am Dr.-Karl-Lueger-Platz thront, ins Wien Museum zu transferieren. Dort könnte sie als Hingucker im Zentrum einer Schau über den politischen Antisemitismus wirklich wertvolle Dienste leisten.
Ihre Spende für kritischen Journalismus
Linker Journalismus ist unter Druck. Zumal dann, wenn er die schonungslose Auseinandersetzung mit den herrschenden Verhältnissen profitablen Anzeigengeschäften vorzieht. Mit Ihrer Spende ermöglichen Sie es uns, kritische Berichterstattung auch angesichts steigender Kosten in gewohnter Form zu liefern. Links und unabhängig.