Inzestuös, antikommunistisch

von Samuel Stuhlpfarrer

Illustration: Lea Berndorfer

Brühwarmer Antikommunismus und Inseratenkorruption haben eines gemein: Sie sind kompatibel mit herrschenden Interessen.


983 wörter
~4 minuten

Es kommt selten vor, dass sich im Zusammentreffen zweier politischer Momente in kurzer Zeit so viel über die Funktionsweise unserer Medienlandschaft lernen lässt wie in den letzten Wochen. Da wäre zunächst der Wahlsieg der KPÖ in Graz (siehe dazu auch den Beitrag von Reinhard Kreissl). Beschränkte sich das rhetorische Glockenspiel des Antikommunismus in den letzten Jahren vorwiegend auf ein leises Hintergrundklingen, wurden die Lautstärkeregler spürbar hochgefahren, nachdem die Kommunistinnen am 26. September in Österreichs zweitgrößter Stadt als Erste durchs Ziel gingen. Dazu aber später mehr.

Nur zehn Tage nach der Grazer Wahl durchsuchte die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) Büros in Bundeskanzleramt, Finanzministerium und in der Bundesparteizentrale der ÖVP in der Wiener Lichtenfelsgasse, dazu Geschäftsräume der Mediengruppe Österreich. Überraschend kam das Ganze nicht mehr, obwohl die Ermittler in neuer Mission unterwegs waren: Sebastian Kurz und sein engstes Umfeld, mutmaßt die WKStA, haben im Verein mit zwei Meinungsforscherinnen seit 2016 fingierte Umfragen erstellt und den Österreich-Machern zur redaktionellen Weiterverarbeitung durchgereicht. In deren Medien soll das Finanzministerium im Gegenzug Inserate geschaltet haben – die Kosten, kumuliert immerhin 1,3 Millionen Euro, trugen die Steuerzahler. Ob die Beschuldigten am Ende der Bestechung, Bestechlichkeit und Untreue (soweit das Strafrecht, jenseits davon erscheint der Begriff der Verschwörung akkurat) schuldig sind, werden Gerichte klären müssen. Sebastian Kurz und seiner Entourage ist all das jedenfalls zuzutrauen, der Postille Österreich ohnehin.

Drei Tage nach den Hausdurchsuchungen trat Kurz zurück, wiederum einen Tag später versammelte Hans Bürger am Küniglberg eine Runde der Chefredakteurinnen und Chefredakteure, um die vorangegangenen Ereignisse einzuordnen. Fazit der Sendung: Die in diesem Herbst viel- und ebendort von Eva Linsinger (Profil) beschworenen Selbstreinigungskräfte der österreichischen Medienlandschaft sind zu Tode erschöpft. Anders lässt es sich nicht erklären, dass selbst Presse-Chefredakteur Rainer Nowak freudig mitdebattierte, dessen Nähe zum Kreis um Kurz (»Ruf bitte Rainer an«) durch die laufenden Ermittlungen bestens dokumentiert ist. Dass keiner der anderen Diskussionsteilnehmer Nowak damit konfrontierte, zeugt vom inzestuösen Charakter der Branche. 

Gefällige Berichterstattung gegen üppige Inseratenaufträge – diese Kombination ist hierzulande seit langem und über den Anlassfall hinaus wohlgelitten. Die Felle sind verteilt. Österreich profitiert von der ÖVP und protegiert sie, stronghold der SPÖ ist der direkte Österreich-Konkurrent Heute, die Kronen Zeitung hält sich flexibel und ist der zahlenmäßig bei weitem größte Profiteur dieser Praxis. Allein im Jahr 2020 hat das Blatt rund 8,5 Millionen Euro an Inseratengeldern aus Bundesministerien erhalten, noch einmal um fast drei Millionen mehr als Österreich. Wurde Krone-Chefredakteur Klaus Herrmann in besagter Sendung darauf angesprochen? Natürlich nicht. Hat jemand Martina Salomons (Kurier) notorische publizistische Beitragstäterschaft zur autoritären Wende unter Kurz thematisiert? Auch nicht. Die Runde der Chefredakteurinnen und Chefredakteure erwies sich als Versammlung jener, die den politischen Diskurs seit Jahren inhaltlich nach rechts und handwerklich nach unten prügeln, und als eine derer, die darüber nicht so recht reden wollen. Man kennt sich, man mag sich, man braucht einander.

Weit weniger rücksichtsvoll, und damit zurück zum Ausgangspunkt, erwiesen sich die bürgerlichen Medien im Umgang mit der KPÖ Graz. Das mag daran liegen, dass sich die allermeisten Chefredakteure hierzulande nicht vorstellen können, wie Elke Kahr mit einem Gehalt von 1950 Euro netto das Auslangen zu finden. Vielleicht auch daran, dass die Partei weder finanzkräftigen Verlagen nahesteht noch üppige Inseratengelder verteilen will (siehe dazu das Gespräch mit Robert Krotzer). Vor allem aber liegt es an der tiefen Verwurzelung eines ideologischen Überzeugungs-Antikommunismus, der auch vor den liberalen Aushängeschildern der hiesigen Medienöffentlichkeit nicht Halt macht.

»WOMIT SICH DIE MEDIENLANDSCHAFT HIERZULANDE HEUTE SCHMÜCKT, DAFÜR HABEN IM 20. JAHRHUNDERT ÜBERZEUGTE KOMMUNISTEN DIE KÖPFE HINGEHALTEN.«

Florian Klenk etwa, Chefredakteur des Wiener Falter, gestand auf Twitter, dass er die »Koketterie mancher Linker mit dem Roten Stern« nicht lustig finde, zumal für ihn das Schwarzbuch des Kommunismus »prägend« gewesen sei. Eine Vulgärversion der ohnehin vulgären Weltsicht ebendieses Ende der 1990er Jahre veröffentlichten Wälzers bot schließlich auch Hans Rauscher im Standard dar. Am 2. Oktober wiederholte er alles, was der verstorbenen Leich’ als Dämonenbannung schon vor mehr als 20 Jahren nachgeschmissen wurde: die Oktoberevolution von 1917 ein Putsch; kein Bruch, sondern Kontinuität zwischen 1917 und der Herrschaft Stalins; Kommunismus als inhärent undemokratisch, alle Schreckensregime, die sich mit dem Attribut »kommunistisch« umgaben, waren nicht falsche Aneignung, sondern Ausdruck des Programms; und überhaupt: Kommunismus bedeutete gleich wo Rückständigkeit und Armut. Im Vorbeigehen verstieg sich Rauscher auch noch zu diesem ungeheuerlichen Satz: »Am System des Kommunismus gibt es ebenso wenig wie am System des Nationalsozialismus ›gute Seiten‹.« Ungeheuerlich deshalb, weil er das antitotalitaristische Denken dorthin steigert, wo die äußerste Rechte seit dem Historikerstreit um Ernst Nolte ihre geschichtspolitische Heimat hat, nämlich in einer falschen Gleichsetzung der Stalin’schen und der Hitler’schen Diktaturen. 

Die aktuelle historische Kommunismusforschung dagegen weiß es besser. Die jüngste Ausgabe der deutschen Fachzeitschrift Arbeit – Bewegung – Geschichte zum Beispiel bietet einen guten Einblick in deren Stand und Fragen. Zusammengefasst: »Den« Kommunismus gab es schlichtweg nicht. Unter diesem Oberbegriff sammelten sich Parteien, Bewegungen und kulturelle Milieus, staatlich-offizielle Politik, supranationale Organisationen und grenzüberschreitende Netze sowie eine überraschend breite Ausdifferenzierung politischer und organisatorischer Positionen. Dabei treten auch radikale Kontraste zutage: extreme, genozidäre Repression genauso wie ein unschätzbarer Beitrag zu den zentralen Emanzipationsprozessen des 20. Jahrhunderts. Zu letzteren gehören die soziale Teilhabe der Arbeitenden, ökonomische und soziale Modernisierung, Antifaschismus, die Befreiung vom Kolonialismus im globalen Süden und: Demokratisierung. Womit sich die Medienlandschaft hierzulande – von liberal bis konservativ, vom Boulevard bis zur »Qualitätszeitung« – heute schmückt, dafür haben im kurzen 20. Jahrhundert in vielen Ländern, nicht zuletzt in Österreich, überzeugte Kommunistinnen und Kommunisten buchstäblich die Köpfe hingehalten.

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