Zu Beginn des dritten Pandemiejahres herrscht in der Corona-Debatte eine Mischung aus Resignation und Galgenhumor. Als der Tiroler Skirennläufer Manuel Feller kürzlich den Riesenslalom im Schweizer Adelboden auf Platz zwei beendete, schwang er vor über 12.000 begeisterten Fans ab, die meisten von ihnen feierten den Sieg des jungen Lokalmatadors und angehenden Superstars des alpinen Skizirkus Marco Odermatt. »Die Schweizer gehen da ein bisschen einen anderen Weg. Die versuchen an einem Wochenende gleich alle zu durchseuchen«, scherzte Feller angesichts der ungewöhnlichen Kulisse. Bis dahin fanden Weltcuprennen weitgehend ohne Publikum oder vor ein paar Hundert Auserwählten statt. Die geplante Siegerehrung vor Fans wurde von den Veranstaltern dann doch kurzfristig abgesagt, »im besten Interesse für die Sicherheit der Athleten und die allgemeine Gesundheitssituation«, wie ein Funktionär des internationalen Skiverbandes FIS erklärte.
500 Kilometer östlich vom Berner Oberland, in Fellers Heimatland Tirol, steppte derweil der Bär zum Après-Ski der Amateure. Aus dem Wintertourismus-Mekka Kitzbühel machten Mitte Jänner Videoaufnahmen von masken- und distanzloser Hüttengaudi die Runde, auf Instagram hochgeladen von einem Start-up-Millionär aus Niederösterreich. Er bereute es schon am nächsten Tag. Manuel Feller wiederum wird, wenn es nicht mit dem Teufel zugeht, bei den Winterspielen in Peking um olympisches Gold fahren. Die Corona-Regeln dort werden erneut andere sein.
Der alpine Skisport, das zeigt Andreas Praher in der Titelgeschichte dieses Heftes, ist kein triviales Thema, an ihm lassen sich prägende Widersprüche Österreichs nachvollziehen. Der Skisport hatte hierzulande von Beginn an sein Epizentrum und war zugleich früh globalisiert. Schon seine Pioniere zog es nach Übersee, um die am westlichen Zipfel der Alpenrepublik erprobten Techniken in die Welt zu tragen. Für die Ausbildung einer österreichischen nationalen Identität nach 1945 war der Skisport von besonderer Bedeutung, der Skitourismus für das ökonomische Entwicklungsmodell des Landes sowieso. Das politische Gewicht der Seilbahnbetreiber und Hoteliers, das in der Hauptstadt unter Normalbedingungen kaum ins Bewusstsein dringt, lastet seit Pandemiebeginn schwer auf der Gesellschaft. Das Letzte, was in Österreich zum Zwecke der Infektionseindämmung geschlossen wird, sind nicht die Schulen, sondern die Skilifte. Diese Tatsache, im gutturalen Brustton zur Kenntnis gebracht von Tiroler Fremdenverkehrstreibenden, trägt nicht eben zur Einebnung der alten Kluft zwischen Stadt und Land bei. Obwohl, das ist der nächste unauflösbare Widerspruch: Das Skifahren ist gerade für Bewohnerinnen und Bewohner des Ostens, jene zwischen Floridsdorf und Wienerwald, das Leiwandste, was man sich nur vorstellen kann.
Alpine Provinzialität und Drang zur Weltgeltung lagen im Skisport jedenfalls stets nahe beieinander, besonders unheilvoll verschränkt im Nationalsozialismus und mit weit darüber hinausreichendem Nachleben in militärischem Drill und patriarchaler Gewalt. Letzteres lässt sich anhand des Gesprächs, das Lisa Kreutzer mit der ehemaligen Skirennläuferin Nicola Werdenigg geführt hat, eindrücklich nachvollziehen. Dass das schwungvolle Bergabfahren – oder zumindest die Vorstellung, es einmal schwungvoll zu vermögen – trotz alledem eine Freude bleibt, wird darin ebenso deutlich wie in der literarischen Miniatur des in Sarajevo aufgewachsenen Schriftstellers Tijan Sila.
Zu Beginn des dritten Corona-Jahres, von dem wir hoffen, dass es das letzte sein wird, sind wir alle ein bisschen Manuel Feller: Entscheidungen von Behörden und Gremien ausgesetzt, deren Ratio sich den wenigsten erschließt; einem Pandemie-Mikromanagement unterworfen, das sich nicht entscheiden kann, ob der Ausnahmezustand herrscht oder Normalität gelebt werden soll; und Leidtragende einer gescheiterten Biopolitik mit dem Ergebnis, dass wir, wenn nicht an einem Wochenende, dann eben während der Arbeitszeit durchseucht werden. Carven Sie gut durch die nächste Welle!
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