Während der SPÖ-Chef Andreas Babler in Österreich einen ungelenken Spagat zwischen Häuslbauer-Biedermeier und linker Wohnpolitik hinlegt (siehe den Kommentar von Marko Dinić), soll es in Berlin endlich ans Eingemachte gehen und Immobilienkonzerne enteignet werden. Dafür will einmal mehr »Deutsche Wohnen & Co enteignen« Sorge tragen, jene Bewegung also, die die Eigentumsfrage in den Mittelpunkt der Debatte über zu hohe Mieten und unleistbares Wohnen gerückt hat. »Was ›Deutsche Wohnen & Co enteignen‹ so stark gemacht hat, waren neben der lokalen Verankerung die Konkretheit und Direktheit der Kampagne. Hohe Mieten bei privaten Wohnkonzernen? Weg mit den Konzernen – ohne den Profitaufschlag wird es für alle billiger! Selten gelingt es Bewegungen, auf ein akutes Alltagsproblem eine so bestechend logische und gleichzeitig radikale Antwort zu geben«, schrieb Lisa Mittendrein vor genau einem Jahr im TAGEBUCH Nº 11|2022.
»Und Co«, das meint alle Immobilienunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin. Wenn es nach der Initiative geht, sollen sie vergesellschaftet werden. Dafür haben im September 2021 über 59 Prozent der Berlinerinnen und Berliner bei einem Volksentscheid gestimmt. Eine Expertinnenkommission hat anschließend dargelegt, dass das tatsächlich möglich ist. Der Ball liegt also im Feld der Regierungsparteien im Senat, und dort liegt er seithin reglos – die Koalition aus CDU und SPD hat der Vergesellschaftung zuletzt nichts als Absagen erteilt. (Vielleicht ist der Ball aus Sicht des CDU-Senats in etwa wie das Alien in John Carpenters Frühwerk Dark Star: ein rundes Monstrum, von der Raumschiffcrew als »nichtsnutziges Hüpfgemüse« bezeichnet, vor dem alle ein wenig Angst haben, das aber in erster Linie lästig zu sein scheint.) Dass der Senat das überhaupt kann, liegt an der Art des Entscheids: Es ist ein Beschlussvolksentscheid, der den Senat zwar auffordert, aber eben nicht verpflichten kann, ein entsprechendes Gesetz zu formulieren. Nun wird »Deutsche Wohnen & Co enteignen« den logischen nächsten Schritt einleiten – einen Gesetzesvolksentscheid. Dieser wäre, neuerlicher Erfolg vorausgesetzt, verbindlich. Zunächst muss aber von den Initiatorinnen selbst ein Gesetzesentwurf erarbeitet werden. Eine Crowdfunding-Kampagne zur Unterstützung der ersten Phase – neben der Arbeit am Gesetz selbst muss auch die Öffentlichkeitsarbeit in den Kiezen finanziert werden – läuft bereits gut an.
Will man die Mietpreis-Horrorshow in Berlin beenden, scheint kein Weg an den Enteignungen vorbeizuführen: Gegen ihre Selbstverpflichtungen, die Mieten nicht weiter explodieren zu lassen, haben die Unternehmen noch oft genug verstoßen. Neubauten, ein Liebkind des Senats, gibt es viel zu wenige, um die Schieflage am Wohnungsmarkt zu korrigieren. Es spricht also viel dafür, dass ein Gesetzesvolksentscheid das notwendige Momentum erzielen und in nicht zu ferner Zukunft auch das Hüpfgemüse in der Landesregierung in Wallung geraten wird.
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