Erdrutschsieg, echt?

von Sonja Luksik

Labour hat die Wahl in Großbritannien gewonnen, doch das lag eher an der Schwäche der anderen als an der eigenen Stärke.

In Zeiten »richtungsentscheidender« Wahlen rücken nicht nur neue politische Mehrheiten in greifbare Nähe, auch originelle Analysen nehmen überhand, wie die britische Parlamentswahl unlängst gezeigt hat. Der Labour-Sieg wurde hierzulande als Erdrutschsieg tituliert, obwohl die Partei mit Keir Starmer an der Spitze in Prozenten nur ein leichtes Plus im Vergleich zur letzten Wahl unter dem Linken Jeremy Corbyn verbuchen konnte. 2017 konnte Corbyn trotz der Sabotage des Labour-Apparats sogar sieben Prozentpunkte bzw. drei Millionen Stimmen mehr holen als Starmer Anfang Juli.

Wenn schon der metaphorische Rückgriff auf Naturgewalten, dann wären Anleihen an die Seismologie jedenfalls treffender – zumindest im Fall der konservativen Tories: Das schlechteste Ergebnis der Parteigeschichte ereignete sich freilich nicht ganz so überraschend wie ein Erdbeben, die Auswirkungen dieser politischen Erschütterung sind dennoch beträchtlich. Labour hat wiederum nur indirekt vom desaströsen Abschneiden der Konservativen profitiert, denn frühere Tories-Wähler:innen wechselten vor allem zur rechtspopulistischen Reform-Partei von Nigel Farage. Von einem Erdrutschsieg kann also schwerlich gesprochen werden, da der erste Platz einerseits auf der Schwäche der Mitbewerber fußt, die Labour-Mehrheit im Unterhaus sich andererseits nur mit dem britischen Mehrheitswahlrecht erklären lässt.

Bei alldem geht es weniger um terminologische Spitzfindigkeiten als um das Aufzeigen unzutreffender Schlussfolgerungen. Vor dem Hintergrund der nahenden Nationalratswahl werden dieser Tage allzu leichtfertig Lehren für die österreichische Politik gezogen. So machte Presse-Redakteur Oliver Pink ausgerechnet Starmer für den »Erdrutschsieg« von Labour verantwortlich, mit Corbyn (der nun übrigens als Unabhängiger ins Parlament einzieht) hätte das selbstredend ganz anders ausgesehen: »Das linke Experiment hat die Labour Party schon hinter sich. Die SPÖ ist mitten drinnen.« Pink liefert Analyse und Appell zugleich, ganz nach dem Motto: Österreichische Sozialdemokratie, höre die Signale – hättet ihr statt ideologisch (Babler) bloß strategisch (Doskozil) gewählt, wäre ein Wahlsieg wie in Großbritannien leicht möglich! Es kann bezweifelt werden, dass ein SPÖ-Chef Doskozil den Aufstieg der FPÖ aufhalten könnte, zugleich scheint gewiss: In Österreich wird – ähnlich wie in Großbritannien – die parteiförmige extreme Rechte dazugewinnen, und spätestens nach dem 29. September wird ebendieser Erdrutschsieg in aller Munde sein.

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