Geschichten werden von Mensch zu Mensch anders erzählt, die großen wie die kleinen. In der letzten TAGEBUCH-Ausgabe erschien der Beitrag »Die vergessene Geschichte der Red Brothers« von Robert Foltin über die Jugendbande Red Brothers, eine der ersten Formen migrantischer Selbstbehauptung in Österreich. Ein spannender Einblick in eine Jugendkultur zwischen Marginalisierung, Migrationskontext und proletarischem Alltag zu Beginn der 1990er.
Der Beitrag löste bestärkende Reaktionen in der Leserschaft aus, mit dem Tenor, dass es wichtig sei, solche Geschichten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. So sieht es auch Michael Gehmacher, der seit 1990 für die sozialistische Zeitschrift Vorwärts tätig und Aktivist der Internationalen Sozialistischen Alternative (ISA, vormals Sozialistische Linkspartei, SLP) ist. In einer Zuschrift ans TAGEBUCH widerspricht Gehmacher allerdings Foltins Behauptung, die Red Brothers hätten keine Aufmerksamkeit von links erhalten. Seitens Vorwärts habe man großes Interesse an den Red Brothers gezeigt, es sei nicht nur über die Gruppe berichtet worden, sondern auch zu Austausch und Zusammenarbeit gekommen. Zwei Red Brothers hätten sich schließlich Vorwärts und dem damaligen Antifa-Komitee angeschlossen. Foltins Darstellung, dass es keine Verbindung zwischen österreichischen Linken und dieser scheinbar unpolitischen migrantischen Gruppe gab, müsse also geradegerückt werden.
Solche Ergänzungen bzw. Richtigstellungen liefert das TAGEBUCH gerne nach; bei einem Thema, das für das heutige linke Selbstverständnis und die nach wie vor aktuelle Frage, wie Bünde mit migrantischen Gruppen geknüpft werden, relevant ist, helfen verschiedene Beschreibungen, um ein akkurates Gesamtbild zu erhalten.
Etwas anderes noch zur letzten Ausgabe, TAGEBUCH-Chefredakteur Samuel Stuhlpfarrer meinte zu den Chancen der SPÖ bei der Nationalratswahl Ende September: »Umfragen, die die SPÖ zumindest in Schlagdistanz zu den Freiheitlichen sehen, fehlen bislang. Das von den Sozialdemokraten herbeigesehnte Kopf-an-Kopf-Rennen wird so aller Voraussicht nach Chimäre bleiben.« Inzwischen hat die EU-Wahl stattgefunden, quasi der Probelauf für die Nationalratswahl, und siehe da: Die FPÖ kam auf 25,4 Prozent, die ÖVP auf 24,5, die SPÖ auf 23,2. Die nackten Zahlen legen einen Dreikampf nahe; jedoch hat sich nichts an den Vorzeichen geändert, dass die FPÖ klar favorisiert wird und ein SPÖ-Chef Babler als Kanzler – in einer großen Koalition mit der ÖVP und konfrontiert mit der FPÖ als mächtiger Opposition – noch kein Heilsversprechen wäre. Ohnehin scheint eine Zweierkoalition ohne FPÖ derzeit nicht möglich. Daher wurde zuletzt eine andere Idee nach französischem Vorbild ins Spiel gebracht: Um die Freiheitlichen in der Regierung zu verhindern, könnte man sich auf ein »linkes« Bündnis einigen – die SPÖ an der Spitze, dazu Grüne, Bierpartei und KPÖ. Abwegig und technisch kaum umsetzbar, aber es zeigt sich, wie erfinderisch Not oft macht.
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